Als Jihan Saleh vor zwei Jahren zur Wahl ging, wollte sie den Wandel. Ihr Hoffnungsträger hieß damals Mohammed Mursi, der Kandidat der Muslimbruderschaft. "Ich dachte, die Muslimbrüder sind fromm und wollen das Beste für das Volk, aber ich habe mich getäuscht", sagt die Hausfrau, die sich in der Früh in die Warteschlange der Wähler vor einem Schulgebäude im Kairoer Stadtteil Munira eingereiht hat.

Diesmal will Saleh ihre Stimme dem früheren Militärchef Abdel Fattah al-Sisi geben, so wie viele der Wählerinnen, die zusammen mit ihr unter einem Baum stehen und Schutz vor der Sonne suchen. Die meisten von ihnen sind Hausfrauen. Fast alle tragen Kopftuch. Das Wort "Wandel" kommt ihnen heute nicht über die Lippen. Sie wünschen sich nach drei Jahren Demos, Gewalt und Wirtschaftskrise nur noch "Stabilität", und zwar um jeden Preis. Menschenrechte, Meinungsfreiheit, das sind keine Themen, die bei dieser Wahl im Vordergrund stehen.

"Brauchen einen starken Mann"

"Wir brauchen in dieser schwierigen Zeit einen starken Mann, und das ist Abdel Fattah Al-Sisi", erklärt Tahani al-Alsayyid (48). Die Hausfrau findet sogar ein paar milde Worte für Ex-Präsident Hosni Mubarak, der nach den Massenprotesten Anfang 2011 von der Armeeführung zum Rücktritt gezwungen worden war. "Die ersten zehn Jahre hat er gut regiert, erst als seine Familie begonnen hat, seinen Sohn Gamal für die Nachfolge vorzubereiten, lief alles aus dem Ruder", sagt sie. Die Mutter, deren Augen hinter der randlosen Brille Güte und Ehrlichkeit ausstrahlen, hatte bei der Präsidentschaftswahl vor zwei Jahren Hamdien Sabahi gewählt, der 2012 den dritten Platz belegt hatte und diesmal als einziger Kandidat neben Al-Sisi antritt.

"Wir Ägypter sind halt schnell zu begeistern, heute jubeln wir einem Führer zu, und morgen klatschen wir schon wieder für einen anderen, wir sind ein Volk, das mit dem Schlagstock regiert werden muss, leider, sonst bricht Chaos aus", sagt Mohammed Al-Sayyid. Der junge Chauffeur aus Kairo ist noch unentschlossen. "Entweder gehe ich gar nicht zur Wahl oder ich wähle Sabahi", sagt er. Um Missverständnissen vorzubeugen, schiebt er schnell hinterher: "Ich bin übrigens kein Anhänger der Muslimbruderschaft, nicht dass hier ein falscher Eindruck entsteht."

Drakonische Strafen gegen Muslimbrüder

Seine Sorge ist berechtigt. Denn die Sicherheitskräfte haben in den vergangenen zehn Monaten Tausende Mitglieder und Sympathisanten der Islamisten-Bewegung festgenommen. Gegen einige von ihnen wurden bereits drakonische Strafen verhängt.

Vor der Schule in Munira stehen die Frauen links vom Eingang an, die Männer rechts. Managertypen in Designerjeans warten neben Arbeitern und kleinen Beamten, die verschlissene Polyester-Hemden tragen. Einige von ihnen haben schlechte Zähne und tragen Schlappen an den Füßen, die auch schon bessere Tage gesehen haben. Eine Gruppe von Wählern jubelt laut, als ein adrett gekleideter Teenager vorbeikommt, der Al-Sisi-Poster verteilt. Die Sabahi-Wähler schweigen. Kurz darauf huscht ein ausgemergelter Mann im grauen Fellachen-Gewand durch die Gasse, die wegen möglicher Anschläge für den Verkehr gesperrt ist. Wie ein Gespenst tanzt er, dreht sich um seine eigene Achse, wirbelt den Staub der Straße auf und schwenkt eine ägyptische Fahne. Mit krächzender Stimme schreit er: "Es lebe Ägypten".