Der Sitz der EU-Kommission ist eines der raumschiffgleichen Gebäude im Brüsseler Europaviertel. In seinem Rücken liegen charmelose Pubs und schicke Restaurants, zu seinen Füßen die überlastete Verkehrsarterie Rue de la Loi und in der Regel mindestens eine Baustelle. Außerdem beherbergt der Berlaymont getaufte Bau in seiner 13. Etage das derzeit begehrteste Büro der Europäischen Union.

Dort liegen die Räume des Kommissionspräsidenten, in die sowohl der konservative Spitzenkandidat bei der Europawahl, Jean-Claude Juncker, als auch sein sozialdemokratischer Konkurrent Martin Schulz (SPD) einziehen wollen.

Juncker hat bessere Chancen

Über die Ambitionen der beiden beraten die EU-Staats- und Regierungschefs am Dienstag auf einem EU-Gipfel. Am besten platziert ist Juncker, da die konservative Europäische Volkspartei (EVP) bei den Europawahlen stärkste Kraft wurde und die größte Fraktion im künftigen Europaparlament stellen wird.

Der Christdemokrat war schon vor zehn Jahren für den Posten im Gespräch, blieb jedoch Regierungschef in Luxemburg - schließlich sei die Kommission eine rauchfreie Zone, sagte Juncker damals. "Als Raucher hätte ich ständig auf die Straße, die viel befahrene Rue de la Loi gehen müssen, um mir eine anzuzünden."

Juncker hat inzwischen seine Meinung - oder seine Gewohnheiten - geändert und unterstrich am Montag seinen Anspruch auf den mächtigsten EU-Posten in Brüssel: "Die EVP hat einen zweistelligen Vorsprung und das gibt mir als Spitzenkandidat der Recht, als erster eine Mehrheit im Parlament und im Rat zu suchen." Doch Junckers Stellungnahme verrät die Unsicherheiten des Verfahrens, das bei dieser Europawahl erstmals zur Anwendung kommt.

Kandidat braucht Mehrheit im Parlament

Die großen Parteifamilien haben unter Berufung auf den reformierten EU-Vertrag europäische Spitzenkandidaten in den Wahlkampf geschickt, die auch als Anwärter auf den Posten des Kommissionschefs galten. Denn erstmals entscheiden nicht die Staats-und Regierungschefs alleine über die Personalie. Sie schlagen jetzt dem EU-Parlament einen Kandidaten vor und müssen dabei das Ergebnis der Europawahl berücksichtigen. Im Parlament benötigt der Kandidat dann mindestens die Hälfte der Stimmen - die derzeit weder Juncker noch Schulz hinter sich vereint.

Bei einem Abendessen am Dienstag wollen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Staats- und Regierungschefs der anderen 27 EU-Länder über die Personalfrage beraten. Dabei sollten noch keine Namen fallen, sondern nur das weitere Verfahren besprochen werden, wie Mitarbeiter von EU-Ratspräsident und Gipfelorganisator Herman Van Rompuy beteuerten. Doch das ist schwer zu glauben, angesichts der darum entbrannten Debatte.

Besonders Großbritanniens Regierungschef David Cameron missfällt es, die Entscheidung über die Besetzung der Kommissionsspitze derart aus der Hand zu geben. Hartnäckig halten sich daher Spekulationen, dass doch noch Politiker wie die Chefin des Internationalen Währungsfonds, die Französin Christine Lagarde, die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt oder Finnlands Ministerpräsident Jyrki Katainen eine Rolle spielen könnten. Merkel stellte sich am Montag hinter Juncker, betonte aber auch: "Wir brauchen intensive Gespräche, und die haben noch nicht mal begonnen."

Schulz will weiter werben

Denn der Europäische Rat ist nur die erste Hürde, eine Mehrheit im Parlament die zweite. Schulz kündigte daher beflügelt vom guten Ergebnis der SPD in Deutschland an, bei den anderen Fraktionen für sich zu werben, um Juncker doch noch auszubooten. Doch einfach wird das nicht. "Das Wahlergebnis ist nicht so, dass es ein Durchmarsch für Martin Schulz auf den Kommissionspräsidenten wird", gab sein Parteikollege der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier zu Bedenken.

Zudem ist der Posten des Kommissionspräsidenten Teil eines noch auszuhandelnden europäischen Personalpakets. Dazu gehören die Posten des EU-Ratspräsidenten und des EU-Außenbeauftragten. Wer den Schreibtisch im 13. Stock des Berlaymont einräumen darf, wird sich daher wohl erst in Wochen als in Tagen klären.