Sie bewerben sich als Kandidat der europäischen Sozialdemokraten um das Amt des Kommissionspräsidenten. Wie wollen Sie die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen? Über neue Schulden?

MARTIN SCHULZ: Nein, durch Investitionen. Wir müssen weg kommen von der Ideologie, man müsse nur Haushalte kürzen, dann kämen die Investoren zurück. Sie werden niemals einen Haushalt sanieren ohne strategische Investitionen.

Wo heißt das konkret?

SCHULZ: Die Jugendarbeitslosigkeit ist in jenen Ländern am höchsten, in denen die Unternehmen, die die meisten Arbeitsplätze schaffen, nämlich kleinere und mittlere Unternehmen, keine Kredite von den Banken mehr bekommen. Ich würde für solche Unternehmen ein Mikrokreditprogramm auflegen aus den Mitteln der EU-Investitionsbank und aus den Strukturfonds.

Provokante Frage frei nach Kreisky: Was ist ihnen lieber? 100 Milliarden Schulden oder zehn Millionen Arbeitslose?

SCHULZ: Der Abbau öffentlicher Schulden ist eine Generationenfrage. Wir haben eine Staatsverschuldung erreicht, die zu hoch ist. Meine Generation hinterlässt meinen Kindern höhere Schulden, als ich sie von meinem Eltern geerbt habe. Deshalb müssen wir Schulden abbauen.

Was wollen Sie machen, um die Kluft zwischen den Bürgern und Brüssel zu verringern?

SCHULZ: Wenn die Menschen sehen, dass sich Brüssel um das Schicksal ihrer Kinder kümmert, gewinnen wir Vertrauen zurück. Die Distanz zwischen den Institutionen und den Menschen - das gilt auch für die nationale Ebene - hat ihre Ursache darin, dass die Menschen das Gefühl haben, die interessieren sich nicht für mich. Ich bin denen egal. Mir hat jemand den Vorwurf gemacht, ich wolle der Bürgermeister von Europa sein. Ja, warum eigentlich nicht? Meine unmittelbarsten Erfahrungen mit dem bitteren Lebenskampf der Menschen habe ich gemacht als Bürgermeister meiner Heimatstadt gemacht. Wir brauchen an der Spitze der EU keine Leute, die jahrzehntelang hinter verschlossenen Türen bei Nacht und Neben entschieden haben, sondern Leute, die Türen und Fenster öffnen wollen.

Die ÖVP wirft Ihnen vor, Sie wollen das Kreuz aus dem Klassenzimmer verbannen?

SCHULZ: Offenbar hat mein Kollege Othmar Karas nicht genau zugehört, als ich im Fernsehen gefragt wurde, was ich von religiösen Symbolen im öffentlichen Raum halte. Meine einleitende Bemerkung lautete: Darüber entscheidet jedes EU-Mitgliedsland. Im Übrigen: Bei meinen Spaziergängen empfinde ich Kreuze auf Hügeln eine Bereicherung unserer Kultur.

Welche Garantie hat der Wähler, dass Sie Kommissionspräsident tatsächlich werden, sollten die Sozialdemokraten am Sonntag die Nase vorn haben? Spielt Merkel wirklich mit?

SCHULZ: Wer im EU-Parlament eine Mehrheit hinter sich hat, wird Kommissionspräsident, also Juncker oder ich. Kein anderer Kandidat bekäme eine Mehrheit. Sollten sich die Staats- und Regierungschefs über das Votum hinwegsetzen, können wir die nächste Europawahl gleich absagen.

Wenn Eugen Freund am Sonntag gewinnt, sollte die SPÖ den EU-Kommissar stellen?

SCHULZ: Ich bin hier im Wien, um mich um das Amt des Kommissionspräsidenten zu bemühen. Das ist eine innerösterreichische Angelegenheit.