Indiens ehrwürdige Kongresspartei hatte noch die Stammhalter der Gandhi-Dynastie aufgeboten, um Wähler umzustimmen. Doch die volkreichste Demokratie der Welt, wo während der letzten fünf Wochen mehr als eine halbe Milliarde Menschen ihre Stimme abgaben, entschied sich für Wandel. Die Nationalisten unter dem so geliebten wie gehassten Narendra Modi, 63, der mehr Jobs, ein Wirtschaftswunder und weniger Korruption versprach, fügten dem Parteivehikel der Nehru-Gandhi-Dynastie eine historische Niederlage zu.

Selbst Priyanka Gandhi, Tochter von Kongress-Führerin Sonia und dem 1991 ermordeten Premier Rajiv Gandhi, hatte sich auf Druck der verzweifelten Partei noch auf Wahlbühnen gewagt. Ihr Bruder Rahul, der nur widerwillig mit Politik zu tun haben will, muss jetzt selbst um den Sieg in seinem Wahlkreis Amethi bangen. Ein triumphierender Modi verkündete auf Twitter: "Indien hat gewonnen. Gute Tage werden kommen." Er reiste in seinen Heimatstaat Gujarat, um sich den Segen seiner Mutter zu holen. Rasch dürfte er nun die Regierung bilden.

Die Wahlbeteiligung war mit 66,4 % so hoch wie noch nie zuvor. Modi profitierte dabei auch von Änderungen im Wahlsystem: Fast 100.000 neue Wähler waren registriert worden, viele davon junge Erstwähler, die sich nicht an Modis Geschichte erinnerten. Diesem wird vorgeworfen, vor einem Jahrzehnt blutige Unruhen zwischen Hindus und Muslimen mit mehr als 1000 Opfern nicht gestoppt zu haben.

Hoffen auf ein Wunder

Die jungen Wähler fühlten sich auch ebenso wenig der Nehru-Gandhi-Dynastie verpflichtet, die Indiens Politik seit der Erlangung der Unabhängigkeit im Jahr 1947 prägt. Ein ausgeklügeltes System von 1,8 Millionen elektronischen Wahlmaschinen, deren Daten per Knopfdruck eingelesen wurden, machte schnell den Machtwechsel deutlich. Die BJP, die bereits von 1998 bis 2004 eine Koalitionsregierung anführte, dürfte selbst aus eigener Kraft die magische Marke von 272 Mandaten für die absolute Mehrheit im Unterhaus eindeutig knacken.

Modis Hindu-Nationalisten, die in den 90er-Jahren noch gegen Muslime mobilisierten und jetzt um sie warben, übernehmen ein Land, dessen Hauptaktienindex in Erwartung von Wirtschaftswundern auf einem historischen Höchststand schloss. Doch hohe Inflation, stagnierendes Wachstum, rückläufige Investitionen, lähmende Bürokratie und zahllose Skandale sind das Erbe, das Modi nach den "verlorenen Jahren" unter der Kongresspartei übernimmt.

Modi hat zwar mehr Marktwirtschaft versprochen und will weniger Versorgungsmentalität. Doch ohne Wundertaten des einstigen Teeverkäufers dürfte bald das böse Erwachen folgen, denn auch Modis Partei ist aus ähnlichem Holz wie die Kongresspartei geschnitzt. Modi ist so sehr Produkt und Vertreter der politischen Elite wie die verdientermaßen von der Macht geschasste Kongresspartei, die nur vordergründig gegen Korruption, Bürokratie und Cliquenwirtschaft vorgegangen war. Reformen hätten nur das Ende des eigenen Machtapparats bedeutet.

Doch Indien würde reichlich Potenzial für Aufschwung besitzen, nur um die am Boden liegende Infrastruktur und das Bildungswesen zu nennen. Das Land produziert zwar Top-Universitätsabgänger am Laufmeter, doch auf dem Land verlassen Analphabeten die Primarschulen, die dann weiter den Feudalherren dienen - und diese haben wenig Interesse an Reformen. Für den Moment profitiert Modi von den Schwächen der Kongresspartei. Ohne Wundertaten wird das Volk bald wieder den großen Namen Gandhi anrufen.

Porträt des Tages Seite 13