Sie haben soeben in Graz einen Vortrag über Ihr neuestes Buch "Der neue Tugendterror" gehalten und treten im Fernsehen schon öfter in Österreich als in Deutschland auf. Warum?

THILO SARRAZIN: Ich bin in Deutschland von den Listen der bundesweiten Talk-Shows auf Weisung der Programmdirektion gestrichen worden. Das ist die Wahrheit. Meischberger musste mich wieder ausladen. Ich bin in Österreich in mehr Talk-Shows als in Deutschland. In Österreich empfindet man mich als einen Exoten aus dem Piefkeland. Aber ich freue mich darüber.

Sie kritisieren in Ihrem neuesten Buch, dass die Meinungsfreiheit bedroht ist. Sie sind aber doch mit 1,5 Millionen verkauften Büchern von "Deutschland schafft sich ab" das beste Beispiel, dass dies nicht der Fall ist. Manche meinen, Sie seien nur gekränkt, weil Ihnen die Anerkennung der Meinungseliten versagt blieb. Sind Sie gekränkt?

SARRAZIN: Das Buch handelt nicht von mir, aber ich habe einiges erlebt. Ich habe als Bundesbankvorstand ein Buch geschrieben, das keinerlei staatsfeindliche Äußerungen enthielt und das nahm die Bundeskanzlerin, der Bundespräsident, der Finanzminister zum Anlass massiv meine Ablösung in der Bundesbank zu betreiben. Wenn das kein Eingriff in die Meinungsfreiheit ist, weiß ich nicht, was ein Eingriff ist. Meine Frau wurde von der Schulverwaltung so gemobbt, dass sie ihren Dienst aufgeben musste. Ich bin jetzt nicht wehleidig, aber das sollte einmal als Faktum festgehalten werden. Auf sonstige Verunglimpfungen will ich nicht eingehen. Da bin ich robust.

Sie haben aber auch verunglimpft, als sie sagten, sie müsste niemanden akzeptieren, der den Staat ablehnt, von ihm lebt und ständig Kopftuchmädchen produziert.

SARRAZIN: Immer wenn Journalisten um Beispiele für eine Verunglimpfung ringen, fällt ihnen nur dieser eine Satz ein.

Bedauern Sie ihn?

SARRAZIN: Nein, das war zugespitzt formuliert.

Wie sehen Sie Ihre Rolle - als Tabubrecher, Störenfried?

SARRAZIN: Ich spiele keine Rolle. Ich habe eine gewisse Lust daran, Sachverhalte zu analysieren.

Wie analysieren Sie heute die wirtschaftliche Situation in der EU?

SARRAZIN: Griechen, Franzosen, Italiener haben bisher auf den Ernst der Lage nicht adäquat reagiert. Sie müssten die Arbeitsmärkte flexibilisieren, Löhne real senken und generell sich eher wie Deutsche verhalten als wie Italiener, Franzosen. Aber das ist wiederum das Gefährliche ,weil heute kann man nicht mehr sagen: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. Implizit ist das aber unsere Forderung an die Südländer und das hat politisch Brisanz.

INTERVIEW:

CARINA KERSCHBAUMER