Sie erinnert mehr an die Wirtin eines Landgasthofs als an eine Parteivorsitzende. Raue Stimme, gereizter Tonfall, Hände, denen man ansieht, dass sie zupacken können: All das weist Marine Le Pen nicht eben als eine dieser Spitzenpolitikerinnen aus, die an Frankreichs Elitehochschule ENA die politische Karriereleiter hinaufklettern.

Aber die Chefin des bei den französischen Kommunalwahlen auftrumpfenden Front National will ja auch keine dieser etablierten Politikerinnen sein. Als zweifach geschiedene Mutter dreier Kinder empfiehlt sie sich als eine, der das Leben nichts geschenkt hat. Als "eine aus dem Volk" zieht sie gegen "die da oben" zu Felde, gegen die Spitzenpolitiker der großen Volksparteien, die Sozialisten der PS, die Rechtsbürgerlichen der UMP. Alle seien gleich, gleich verkommen, pflegt die 45-Jährige zu poltern. Dass sie selbst keineswegs in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen ist, im Pariser Nobelvorort Neuilly zur Welt kam, es zur Rechtsanwältin und Europaabgeordneten gebracht hat - Schwamm drüber.

Die politische Botschaft kommt an. Wenn die Rechtspopulisten Le Pens vor einer Woche in 229 Städten über 10.000 Einwohnern die Zehn-Prozent-Hürde genommen und gute Chancen haben, heute ein Dutzend Rathäuser zu erobern, dann ist das nicht zuletzt auch Marine Le Pens Verdienst.

Die Arbeiterschaft, ehemals fest in den Händen von Sozialisten und Kommunisten, wählt heute mehrheitlich FN. Ein Gutteil der mittleren Angestellten tut es ebenfalls. Laut Umfragen sympathisieren 34 Prozent der Franzosen mit dem Gedankengut des Front National.

Anders als der Vater und Parteigründer Jean-Marie Le Pen, der mit rassistischen und antisemitischen Tönen verstörte, achtet die seit 2011 den FN führende Tochter darauf, potenzielle Wähler nicht durch allzu rechtslastige Äußerungen zu verprellen. Der Vater wollte Schock. Die Tochter will die Macht. Dafür braucht sie Mehrheiten. Ohne Wähler aus der bürgerlichen Mitte sind sie nicht zu haben. Und so bekundet die Politikerin etwa lieber ihre "Sorge um Frankreichs weltliche Verfassung", als offen zum Feldzug gegen die Muslime zu blasen.

Auf 17,9 Prozent der Stimmen hatte es die Vorsitzende des FN 2012 im Präsidentschaftsrennen gebracht. Nun will sie ihre Partei in der Basis verankern, in der Kommunalpolitik. So geschickt die Rechtspopulistin auch zu Werke geht, ihre Stärke ist auch die Schwäche des Gegners. Frankreichs Volksparteien bieten ein Bild des Jammers. Die seit knapp zwei Jahren regierenden Sozialisten werden der Wirtschaftskrise nicht Herr.

Arbeitslosigkeit

Steuern und Staatsschulden erreichen Rekordhöhe, die Trendwende auf dem von wachsender Erwerbslosigkeit gezeichneten Arbeitsmarkt fehlt. Seit Bestehen der V. Republik hat kein Präsident, kein Premier im Volk so wenig Rückhalt genossen wie François Hollande und Jean-Marc Ayrault.

Die andere große Volkspartei, die UMP, bleibt politische Alternativen schuldig. Rechtsbürgerliche Spitzenpolitiker stolpern von Skandal zu Skandal und beschäftigen sich mehr mit der eigenen Rettung als mit der des Landes. Dass auch Marine Le Pen kein Rezept gegen die Krise hat, ja dass ihr Programm das Land nach einhelliger Auffassung der Experten in den Ruin führen würde, vermag den Zuspruch bisher nicht zu schmälern. Für den Ausstieg aus dem Euro tritt sie ein.

An den Landesgrenzen will sie wieder Schlagbäume anbringen und Zollschranken hochziehen.

Für die Todesstrafe macht sie sich stark, preist das traditionelle Familienbild, eine ethnisch und religiös homogene Gesellschaft. Von einer Renaissance des 20., wenn nicht 19. Jahrhunderts scheint die Französin zu träumen. Doch was zählt, ist der Zorn auf die großen Volksparteien. "Wir sind nicht fachos, sondern fachés", sagen Front-National-Wähler, nicht Faschisten also, sondern verärgert.

Selbstbewusst greift Marine Le Pen bereits nach Europa. Sie, die der EU ein Ende machen will, versucht, ein Europa-Bündnis auf die Beine zu stellen. Eine Allianz nach ihren Vorstellungen soll es sein, eine der EU-Gegner eben.

Die Französin ist nach Großbritannien, Österreich, Italien und in die Niederlande gereist, hat die Bande zu Gleichgesinnten gefestigt. Der Albtraum, dass sich EU-Gegner aller Länder vereinigen und in Bataillonsstärke ins Europaparlament einziehen könnten, gewinnt an Kontur. Der Front National hat laut Umfragen beste Aussichten, aus den Europawahlen in Frankreich mit 24 Prozent der Stimmen als stärkste politische Kraft hervorzugehen.