Ich bereue es sehr", meinte der Angeklagte vor Gericht, ein 34-jähriger Mann, der diese Woche wegen schweren sexuellen Missbrauchs der elfjährigen Stieftochter in Eisenstadt zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde. Ein Mann, der sich einige Jahre zuvor bereits an der zehnjährigen Tochter seiner früheren Lebensgefährtin vergangen hat. Zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde zwei Tage später ein 31-jähriger Vater in St. Pölten, der die neugeborene Tochter sexuell misshandelte. Am gleichen Tag stand in Klagenfurt ein 52-Jähriger wegen Kindesmissbrauchs vor Gericht. Für die Gerichtspsychiaterin Heidi Kastner eine zufällige Häufung. Geändert hätten sich nur die Melde- und Reaktionsbereitschaft und die Sensibilität gegenüber Missbrauch.

"Sonst muss Papa ins Gefängnis . . ."

Ein wegen sexuellen Missbrauchs Verurteilter sucht sich eine neue Lebensgefährtin mit Kind und missbraucht wieder. Wie können Kinder besser geschützt werden?

HEIDI KASTNER: Der Generalverdacht, dass einer, der einmal missbraucht hat, immer missbrauchen wird, stimmt nicht. Man muss sich natürlich genau anschauen, wen man entlässt und wie man entlässt. Da muss man bei Pädophilen sicher kritischer sein als bei anderen. Die Rückfallrate bei nicht pädophilen Sexualstraftätern liegt bei acht Prozent, bei den Pädophilen liegt sie je nach Studie bei bis zu fünfzig Prozent.

Welches Kontrollsystem gibt es nach Entlassungen?

KASTNER: Sie werden entlassen mit speziellen Weisungen. Der Bewährungshelfer müsste schauen, mit wem er eine Beziehung eingeht und es wäre gut, wenn er reagiert, wenn der Entlassene wieder eine Beziehung mit einer Frau mit Kindern eingeht. Ob im konkreten Falle ein solches Kontrollsystem etabliert war, weiß ich nicht. Kernpädophile machen aber nur rund 15 Prozent der Missbrauchstäter aus. Das Hauptproblem sind Väter, die glauben, dass sie sich abreagieren können. Die haben eine Wut aufs Weib oder wollen zeigen, wo es langgeht.

Die Hauptgruppe der Kindesmissbraucher ist nicht pädophil?

KASTNER: Nein, aber die missbrauchen keinen Säugling, durchaus aber eine Zehnjährige. Da geht es meist nicht um die sexuelle Befriedigung, sondern es geht um das Ausüben von Macht und Gewalt.

Wie ist es erklärbar, dass Mütter nicht reagieren?

KASTNER: Weil sie die vermeintlich tolle Partnerschaft, ihre Befindlichkeit über das Wohl des Kindes stellen. Sie leben oft auf engstem Raum mit Mann und Kindern zusammen und sagen, sie hätten leider nichts mitbekommen. Das ist auch ein Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses. Wer es am frühesten bemerken kann, sind die Mütter, und nicht der Sozialarbeiter, die Lehrer. Im konkreten Fall wusste die Mutter von der Verurteilung. Sie weiß, dass sie so jemanden zu Hause sitzen hat, und überlässt ihm das Kind?

Sie schreiben in Ihrem Buch "Täter-Väter" von einer "speziellen Tragik" bei ausschließlich pädophil orientierten Männern. Worin besteht diese Tragik?

KASTNER: Sie besteht darin, dass das Leute sind, die sich ihre sexuelle Orientierung nicht ausgesucht haben. Wenn mir jemand heute erklärt, ich dürfte keine heterosexuellen Kontakte mehr haben, wäre ich unglücklich. So wenig wie sich Homosexuelle ihre Neigung aussuchen, so wenig suchen sich das Pädophile aus oder Heterosexuelle.

Sie sagen, Pädophile hätten nur die Wahl zwischen Pest und Cholera? Warum?

KASTNER: Sie können ihre Neigung ausleben, was furchtbar ist, oder sie verzichten auf Sexualleben. Manche nehmen sich kindlich aussehende, zierliche Frauen, die sich rasieren und damit das Bild eines Kindes vermitteln. Aber das funktioniert nicht bei allen.

Wie kommen Pädophile auf die Idee, zu sagen, dass das Opfer es auch gewollt habe?

KASTNER: Sie wissen rein kognitiv, dass es nicht erlaubt ist und dass das Kind kein gleichwertiger Partner ist, aber sie reden sich ein, dass das Kind es bei ihnen am besten lernt etc. Da hört man die erstaunlichsten Dinge. Man kann sich selbst für alles Mögliche verblinden. Das ist ein verbreiteter Mechanismus. Alle korrumpieren sich da selbst. Sie reden sich ein, dass das, was sie tun, nicht so schlimm ist. Sie schließen daraus, dass das Kind nicht schreiend davonläuft, dass es nicht so schlimm ist. Bei fremden Kindern suchen sie sich meist bedürftige Kinder aus, die heilfroh sind, wenn sich endlich jemand um sie kümmert und die den sexuellen Missbrauch dann als kleineres Übel in Kauf nehmen.

Und wenn die eigenen Kinder missbraucht werden?

KASTNER: Innerfamiliär ist es ein spezielles Drama, weil es sich um enge Bezugspersonen handelt, die nicht nur negativ sind. Das sind oft Männer, die am Tag mit Kindern wie ein guter Vater umgehen, dem Kind zugewandt sind, auch nette Anteile haben. Das Kind kann diese Ambivalenz nicht auflösen. Es sagt nicht: Das ist ein guter Mensch, der mit mir etwas Schlimmes macht. Es sagt: Das wird schon ok sein, was er mit mir macht, obwohl ich es nicht mag. Oder es sagt: Ich muss das aushalten, sonst kommt der Papa ins Gefängnis. Das Kind kommt in einen nicht auflösbaren Zwiespalt. Wir Erwachsene tun uns ja oft schwer, zwei Teile in einer Person zu akzeptieren.

Was kann eine Therapie schaffen?

KASTNER: Pädophilie ist nicht heilbar. Eine Therapie kann im besten Fall bewirken, dass die Selbstkorrumption und Schönredemechanismen abgedreht werden. Und ihm klar wird, dass er es nie ausleben darf.