Ein historischer Sieg! Wir haben es geschafft! Der Traum heißt Obama! So lauteten Schlagzeilen, als Barack Obama 2008 erstmals gewählt wurde. In europäischen Medien hieß es sogar, dass Amerika seine Erlösung in den Nachthimmel schreit und man das Land wieder lieben könne. Es wurde getan, als werde der neue Präsident über Wasser gehen.

Bauchfleck

2014 ist daraus ein Bauchfleck geworden. In den USA stimmten anfangs zwei Drittel Obamas Politik zu, doch längst sind mehr Amerikaner mit seiner Politik unzufrieden als zufrieden. 40 Prozent sind für Obama, 50 Prozent klar gegen ihn. Zum Vergleich: Den Spitzenwert verzeichnete John F. Kennedy mit im Durchschnitt 70 Prozent. Schlechter als Obama lag nach sechs Jahren nur Richard Nixon im Watergate-Skandal.

Stephen Wayne, Politikwissenschaftler an der Georgetown University, liefert die Erklärung: "Obama ist ein kluger Politiker, doch er schafft es nicht, Emotionen zu vermitteln. Wenige Amerikaner haben das Gefühl, er wäre wirklich ihr Präsident." Das verblüfft. Ausgerechnet das Redner- und Mediengenie Barack Obama hat keine gefühlsmäßige Bindung zu den Menschen?

Wayne, Autor des Buches "Personality and Politics: Obama For and Against Himself", berichtet, dass der Präsident wie viele Staatschefs zu sehr auf sein engstes Umfeld hört. Kritische Stimmen mit einem anderen Bild der Wirklichkeit lässt er nicht an sich heran. Zugleich spielt Obama mit immer den gleichen Leuten Basketball oder Golf und nutzt soziale Anlässe kaum für den Dialog mit Nicht-Vertrauten. Bei jeder Veranstaltung sei sein Händeschütteln professionell, doch am Ende sitzt er bei jenem kleinen Kreis, der ihn ohnedies mag.

Obama wurde aber wegen seines Wahlkampfslogans gewählt, die USA zu einen. Heute ist das Land gespaltener denn je. Sowohl seine Sympathiewerte - für Obama sind nur Stammwähler seiner Demokratischen Partei - als auch die radikale Gegnerschaft der Republikaner beweist Tag für Tag, dass die Polarisierung zugenommen hat.

David Remnick schreibt in der Zeitschrift "The New Yorker", dass 2013 die ein Jahr davor in Obamas Wiederwahlkampagne nochmals beschworene Idee einer parteiübergreifenden Politik zur Illusion und er selbst ambitionslos wurde. Wayne sagt, Barack Obama fühle sich allein unter Freunden wohl. Das sind weder die weißen und wohlhabenden Konservativen, welche der US-Präsident für Mehrheiten bräuchte, noch die ärmeren Afroamerikaner und Hispanics, für die er jeweils aufgrund seiner privilegierten Lebensgeschichte keiner der Ihren ist.

Barack Obama verkörperte trotzdem lange Zeit den amerikanischen Traum vom Tellerwäscher zum Millionär. Inzwischen hat er die Wirtschaft vor dem Kollaps gerettet, doch ist es zynisch, auf wieder mögliche Börsengewinne zu verweisen, wenn in den Vereinigten Staaten nur ein Bruchteil der Bevölkerung Aktien besitzt und vorher viele Kleinaktionäre alles verloren haben. Wer nicht im kleinen Bereich technischer Boom-Industrien arbeitet, dessen Lebensbedingungen sind nicht besser geworden.

Wayne und Remnick geben gleichermaßen zu, dass sich Obama für soziale Anliegen einsetzt. Die aktuelle Mindestlohndebatte hilft ihm allerdings wenig, weil es sich um eine abstrakte Wunschvorstellung handelt. Nur Herausforderer können das im Wahlkampf als Forderung formulieren. Der Präsident wird gefragt, warum sich bisher nichts getan hat. Abgesehen davon wäre man mit einem Brutto-Stundenlohn von zehn statt siebeneinhalb Dollar weiterhin arm.

Mit dem Einwand, dass es um viele illegal Beschäftigte geht, kommt Obama vom Regen in die Traufe. Denn es gibt 10 Millionen Einwanderer ohne Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung, die der Präsident weder zu amnestieren und damit in die Gesellschaft zu integrieren schafft noch alle abschieben kann und will.

Die Reform des Gesundheitssystems als Obamas Schlüsselprojekt schließlich droht zur Farce zu werden. Unbestritten ist, dass der Prozentsatz der Amerikaner ohne Krankenversicherung von 18 auf 16 Prozent gesunken ist. Doch die Republikaner verzögern unverändert viele Gesetze, und aus dem "Affordable Care Act"-Programm von 2010 sind 19 Staaten ausgestiegen. Parallel häufen sich Fälle, in denen zugunsten der Armen nicht die Reichen, sondern Mittelstandsfamilien viel mehr Versicherung zahlen müssen. Damit ist Obamas Image der sozialen Verantwortung in Gefahr.

Stillstand

Im geteilten Regierungssystem der USA sind freilich Präsident und Kongress am Stillstand gemeinsam schuld. Und Obamas Probleme werden größer: Die Republikaner könnten im November ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus halten und jene im Senat gewinnen. Daher wird ein Präsident gegen Ende oft als "lame duck" bezeichnet, die nichts durchsetzen kann. Der Begriff einer gelähmten Ente ist nicht einmal böse gemeint. Schlimmer ist, dass Obama keine Identifikationsfigur mehr darstellt. Das wäre die Aufgabe eines in seiner Macht beschränkten US-Präsidenten, und die Amerikaner sehnen sich danach.

Was kommt also nach Obama? Bei den Demokraten gilt Hillary Clinton als Favoritin, weil chancenreiche Mitbewerber nicht gegen sie antreten wollen. Die Republikaner haben keinen mehrheitsfähigen Kandidaten. Wer gemäßigt konservativ ist, droht in den Vorwahlen an der Tea Party zu scheitern. Deren Vertreter sind aber im Hauptwahlgang chancenlos. Als Hoffnung gilt Präsidentensohn und -bruder Jeb Bush. Wie wäre das? Die Amerikaner wünschen sich einen Präsidenten, den sie lieben, und hassen alles, was mit Washington zu tun hat. Da würde ein Wahlkampfduell Clinton gegen Bush wie die Faust aufs Auge passen.