Die Eskalation auf der Krim verläuft ziemlich genau nach dem Muster, das sich 2008 im Georgien-Krieg beobachten ließ. Damals entsandte die russische Führung unter Präsident Dmitri Medwedew in einer aufgeheizten Stimmung das Militär mit der Begründung, dass russische Staatsbürger vor allem in den beiden von Tiflis abtrünnigen Republiken Abchasien und Südossetien geschützt werden müssten.

Jetzt fordert der Chef der selbst ernannten pro-russischen Regierung auf der Krim die Führung in Moskau zum Eingreifen auf der Halbinsel auf. Und als Echo betont Sergej Mironow von der Partei Gerechtes Russland: Alle müssten wissen, dass die Russen ihre eigenen Leute in einem Krieg nie fallen ließen. Ein russischer Militäreinsatz auf der Krim wurde deshalb am Samstag genau mit dieser Begründung gebilligt. Am Sonntag berichtete die russische Agentur Tass unter Berufung auf den russischen Grenzschutz, es gebe Hinweise auf eine "humanitäre Katastrophe", weil Hunderttausende Ukrainer im Jänner und Februar das Land Richtung Osten verlassen hätten.

Damit wiederholt sich ein Muster, nach dem nicht nur Russland, sondern auch andere Großmächte vorgehen. Zum anderen zeigt der Konflikt aber auch die wachsende Unschärfe bei der Beantwortung der Frage, ab wann ein militärisches Eingreifen in anderen Staaten zulässig ist.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte schon vor Jahren den Zusammenbruch der Sowjetunion als größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Der russische Wissenschafter Wladislaw Inosemzew wirft ihm deshalb vor, eines russisches Imperium wiederherstellen zu wollen, das Putin mit seiner Vision einer "Eurasischen Union" zumindest aus Teilen der ehemaligen Sowjetunion wieder aufbauen will.

Auf jeden Fall ist Russland bis heute damit beschäftigt, die Folgen des Zerfalls der Sowjetunion zu verarbeiten. Ein Problem ist die hohe Zahl an Auslandsrussen: So sind mehrere Millionen Russen in den nun unabhängigen ehemaligen Sowjetrepubliken zu Minderheiten geworden. Gerade die Krim ist aber auch ein Beispiel für ein weiteres Problem: Denn einige wichtige russische Militäreinrichtungen befinden sich nun außerhalb der Landesgrenzen. In Abchasien betraf dies nur Kureinrichtungen, die jahrzehntelang von der Moskauer Offizierselite genutzt wurden. Auf der Krim aber sitzt die russische Schwarzmeerflotte, einer der Pfeiler der Sicherheitsarchitektur.

Bisher war die Nutzung der Stützpunkte in Verträgen zwischen beiden Staaten geregelt. Durch den Umsturz in Kiew wackeln diese, zumal die schnelle Abschaffung des Russischen als zweite Amtssprache die Ängste der gut acht Millionen russischstämmigen Ukrainer anheizte. Ähnliche Sprachenkonflikte gab es bereits in den baltischen Staaten, die aber als Mitglieder von EU und NATO einen anderen Schutz genießen und keine so eine strategische Bedeutung für Moskau haben. Ein vergleichbarer Konflikt existiert aber in Moldawien, wo ein Großteil der rund 500.000 Russen im abtrünnigen Landesteil Transnistrien lebt.

2008 wurde im Zusammenhang mit dem Georgien-Krieg die sogenannte Medwedew-Doktrin entwickelt, die dann 2010 auch in einem Auftrag an das russische Militär umgesetzt wurde: Ausdrücklich wird seither der Einsatz für den Schutz von Russen im Ausland erlaubt. Im Fall der Ukraine werfen westliche Regierungen Putin aber nun vor, dies nur als Vorwand für seine imperiale Strategie zu nutzen.

Allerdings sind solche Interventionen keineswegs eine russische Spezialität. Auch die Amerikaner haben eine lange Tradition vorzuweisen. So wurde der Einsatz der US-Streitkräfte in Grenada 1983 mit dem Schutz der dortigen Amerikaner begründet. 1989 ließ US-Präsident George Bush senior mehr als 20.000 US-Soldaten in Panama einmarschieren - erneut mit dem Hinweis auf den Schutz der eigenen Landsleute. Beide Male verfolgte Washington aber auch andere Ziele wie den Schutz des Panama-Kanals oder die Entmachtung unliebsamer, teilweise diktatorischer Regierungen wie die von Manuel Noriega.

Auch andere westliche Länder haben in den vergangenen Jahrzehnten militärisch in anderen Staaten eingegriffen - mit einer Vielzahl von Begründungen, die von der Abwendung humanitärer Katastrophen bis zur Terrorbekämpfung reichten. Jüngste Beispiele sind die französischen Interventionen in Mali und Zentralafrika. 2011 stürzte der Westen den libyschen Machthaber Muammar Gaddafi. Und im Jahr 2001 entmachteten die USA mit ihren westlichen Verbündeten in Afghanistan die Taliban - der Einsatz dauert an. Der Unterschied dieser Aktionen zur Auseinandersetzung auf der Krim oder der in Georgien: Es gab jeweils eine Zustimmung des UNO-Sicherheitsrates.

Allerdings ist diese völkerrechtliche Absicherung auch für den Westen nicht immer Richtschnur des eigenen Handelns. So lag 1999 für den Eintritt der NATO in den Kosovo-Krieg kein UNO-Mandat vor. Begründet wird dies damit, dass die UNO in einigen Konflikten wegen der Ablehnung der Vetomächte China und Russland handlungsunfähig sei. In den Vereinten Nationen gibt es seit Jahren eine Debatte über eine humanitäre Verpflichtung zum Eingreifen auch gegen den Willen einer betroffenen Regierung, die unter dem Stichwort "responsibility to protect" läuft, was allerdings der Auslegung Tür und Tor öffnet, was "gerechte" und "ungerechte" Kriege sind.

Daneben greifen die USA bis heute regelmäßig mit Drohnen Ziele im Jemen sowie in Pakistan an - auch gegen den Protest der Regierung in Islamabad. Begründung ist der Kampf gegen Terroristen - eine Wortwahl, die auch die russische Führung jetzt aufgreift.