Familien bekommen ab Juni eine um 4 Euro und 30 Cent höhere Familienbeihilfe im Monat. Stellt diese Erhöhung nicht die Sinnhaftigkeit des Gießkannenprinzips infrage?

SOPHIE KARMASIN: Bis 2018 sind das immerhin 334 Euro zusätzlich für eine Familie. Die Familienbeihilfe war traditionell nie für eine soziale Staffelung vorgesehen. Der Anspruch der Familienbeihilfe ist es, einen Ausgleich zu schaffen für Familien mit Kindern und Familien ohne Kinder.

Es stellt sich für Sie nicht die Frage, ob ein Vorstandsdirektor die Erhöhung um vier Euro in gleicher Weise benötigt wie ein arbeitsloser Familienvater?

KARMASIN: Die Familienbeihilfe hat nicht den Anspruch, sozial ausgleichend zu wirken. Aber es gibt auch hier soziale Instrumente wie den Mehrkindzuschlag oder die Geschwisterstaffelung. Wir können aber nicht der Familienbeihilfe alles umschnallen.

Sie wollen nicht, dass die Familienbeihilfe als Sozialhilfe gesehen wird?

KARMASIN: So ist es, dafür gibt es andere Instrumente wie den Alleinverdienerabsetzbetrag. Natürlich sind mir die Alleinerzieherinnen und Mehrkindfamilien ein großes Anliegen, weil wir wissen, dass sie besonders armutsgefährdet sind.

Auf eine große Systemreform in der Familienpolitik haben Sie jetzt verzichtet. Vorerst oder für die nächsten fünf Jahre?

KARMASIN: Ich sehe schon eine Reform im vorliegenden Modell, weil wir von einer einmaligen Erhöhung bei der Familienbeihilfe hin zu einer kontinuierlichen gegangen sind. 2016 gibt es die nächste. Das ist ganz neu.

Einmal vier Euro und 30 Cent und 2016 folgen zwei Euro. Warum nicht die Erhöhung auf einen Schlag nach einer 13-jährigen Nichtanpassung der Familienbeihilfe?

KARMASIN: Das kann man natürlich so sehen. Ich halte es aber für zukunftsträchtiger mit einer kontinuierlichen Anpassung. Ich glaube, die Chance ist höher, dass die Familienbeihilfe künftig jährlich valorisiert wird, wenn wir die Beihilfe in Stufen erhöhen.

Eine Reform planen Sie beim Kinderbetreuungsgeld. Welche Ideen gibt es rund um das neue Kinderbetreuungsgeldkonto?

KARMASIN: Die Männerbeteiligung wird hier ein großer Baustein sein. Insgesamt soll das Kinderbetreuungsgeld aber flexibler gehandhabt werden. Derzeit muss man sich auf ein Modell festlegen und dann bleibt man 24 oder 36 Monate in diesem Rahmen. Künftig sollen sich Eltern Geld und Zeiten für wichtige Lebensphasen der Familie reservieren können. Die Betreuung hört ja nicht mit 36 Monaten auf.

Eltern könnten dann das Karenzmodell 12 Monate plus zwei Monate für Mutter oder Vater nehmen und später sechs Monate für die Phase des Schulbeginns?

KARMASIN: Ja, das wäre die Idee. Wir müssen uns aber genau anschauen, ob das machbar ist.

Deutschland will einen Bonus für Eltern einführen, wenn sie früher aus der Karenz in den Job zurückkehren. Wäre das auch für Österreich überlegenswert?

KARMASIN: Nein, wenn ich mir einen Bonus wünsche, dann für Eltern, wenn sie beide in Teilzeit gehen. Das wäre mir einen Bonus wert. Wir werden das diskutieren.

Sie wollen damit auch eine Änderung bei der Eltern-Teilzeit, den derzeit nur ein Elternteil in Anspruch nehmen kann?

KARMASIN: Ja, das ist für mich unverständlich. Es ist der falsche Weg. Es sollten beide gleichzeitig Anspruch auf Teilzeitarbeit haben.

Der Alleinverdienerabsetzbetrag wird von manchen als Relikt aus alten Zeiten mit traditioneller Rollenaufteilung gesehen. Wollen Sie daran festhalten?

KARMASIN: Eine Wifo-Studie weist eindeutig nach, dass es die Erwerbstätigkeit von Frauen reduziert. Die Frage ist, welche Zielsetzung Familienpolitik hat. Zwei Drittel der unentgeltlichen Arbeit wird immer noch von Frauen gemacht. Wir werden uns anschauen müssen, ob der Alleinverdienerabsetzbetrag noch seine Berechtigung hat und wir nicht eine andere Steuerung anstreben sollen.

Derzeit werden rund neun Milliarden Euro im Jahr für Familien ausgegeben. Wenn man den Erfolg der Familienpolitik an der Geburtenrate von 1,4 messen würde, wäre die Bilanz ein Desaster.

KARMASIN: Wir wissen natürlich nicht, ob die Geburtenrate noch geringer wäre, wenn die Mittel anders gewesen wären. Aber wenn wir nicht den Familien mehr Mut machen, werden wir langfristig ein Problem haben. Es geht aber nicht nur darum, Geld zu investieren, sondern auch darum, einen gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen. Nur mehr 46 Prozent der unter 24-Jährigen wollen sicher Kinder haben. Das ist dramatisch. Wir brauchen Vorzeigebeispiele, wir müssen zeigen, dass Familie auch gut lebbar ist, denn man will ja nicht nur hin und her hetzen.

Wie wollen Sie das erreichen?

KARMASIN: Mein Ziel ist eine Familienbewegung auf allen Ebenen, in den Gemeinden, in den Unternehmen. Unternehmen müssen erkennen, was ihnen Familienfreundlichkeit bringt - mehr Loyalität, weniger Fehlzeiten, größere Kundenorientierung. Es geht um höhere Wertschätzung gegenüber Familien und nicht nur darum, Geld in die Hand zu drücken.

Worauf führen Sie es zurück, dass nur 30 Prozent der Österreicher ihr Land als kinderfreundlich einstufen?

KARMASIN: Es wird bei uns zu oft alles negativ beschrieben: was Familien fehlt, welche furchtbaren Belastungen es gibt, worauf man verzichten muss. Das stimmt alles, aber es fehlt in der öffentlichen Wahrnehmung das beglückende Element von Familien, die schönen Erlebnisse, die man mit Kindern hat. Wir müssen wieder mehr herausheben, wie beglückend Familie und Kinder sind.