Entlang von Kairos Stadtautobahnen ist auf endlosen Plakatreihen "Ja zur Verfassung" zu lesen. Landauf, landab wird der neue Text in Jubelveranstaltungen gepriesen. "Sein oder Nichtsein - darum geht es", singen Kinder in einem von der Armee produzierten Fernsehspot. Allah werde jeden für sein Votum zur Verantwortung ziehen, deklamieren die Halbwüchsigen im Chor. Und: "Gebt unser Land nicht der Vernichtung preis."

Ein Nein dagegen ist im heutigen Ägypten tabu. Kritikern bleiben nur Graffitis an Hausmauern. Andere reißen nachts Plakate herunter, viele Ja-Haken sind mit roten Farbbeuteln beworfen, die Flecken wie aus Blut hinterlassen. Junge Aktivisten, die in Kairo Flugblätter gegen das Referendum am Dienstag und Mittwoch verteilten, landeten im Gefängnis. Keine politische Partei wagt es, eine Nein-Kundgebung zur neuen Verfassung abzuhalten. Und das wichtigste politische Oppositionslager, die Muslimbrüder, wurde kurzerhand als Terrororganisation verboten.

Gefragt sind einzig Applaus und Akklamation - die neuen Herren von Militär, Polizei und Justiz wünschen keine Überraschungen. Für sie ist das Referendum mehr als ein Votum über das neue Grundgesetz. Es soll ihren brutalen Feldzug gegen Muslimbruderschaft und Andersdenkende legitimieren. 160.000 Soldaten und 130.000 Polizisten sind zum Schutz der rund 30.000 Wahllokale aufgeboten. Am letzten Freitag kam es im Land erneut zu blutigen Unruhen und Protesten, bei denen vier Menschen starben.

Trotzdem steht eine Stimmenmehrheit außer Zweifel, die Frage ist nur, wie hoch sie ausfällt. Das islamistische Grundgesetz vor gut einem Jahr wurde mit 63,8 Prozent ratifiziert. Bei einer Wahlbeteiligung von 32,8 Prozent machte ein Fünftel aller 53 Millionen Stimmbürger ihr Kreuz bei "Ja". Diese Marke müssten die jetzigen Machthaber deutlich übertrumpfen, wollen sie beweisen, dass sie mehr Rückhalt im Volk haben als ihre gestürzten Vorgänger. "Blamiert mich nicht vor den Augen der Welt", appellierte Ägyptens starker Mann, Militärchef Abdel Fattah al-Sisi, an seine Landsleute.

Weniger Religion, mehr Militär, Polizei und Justiz - so könnte das Motto der neuen Verfassung lauten. Machtgewinner sind die drei staatlichen Institutionen, die seit dem Putsch am 3. Juli die Unterdrückung der Muslimbruderschaft durchziehen. Die Armee festigt ihre Position als Staat im Staate. Die Polizei kann Reformgesetze für die Sicherheitskräfte blockieren. Parteien "auf religiöser Grundlage" werden von der Politik ausgeschlossen.

Willkür und Repressalien

Neben den Islamisten sieht sich auch die Demokratiebewegung immer härter attackiert, obwohl sie die Entmachtung Mursis zunächst unterstützte. "Wir waren am 30. Juni mit auf der Straße - das erweist sich jetzt als schwerer Fehler", bekannte kürzlich Ahmed Maher, eine der Ikonen des Arabischen Frühlings in Ägypten. Inzwischen sitzt er selbst hinter Gittern, in einem würdelosen Schauprozess zu drei Jahren Haft verurteilt. "Wir bestreiten nicht, dass Mursi Falsches gemacht und Dummes getan hat", sagte er. Doch was nun ablaufe, sei "die Rückkehr zum alten Regime - dieselbe Unterdrückung, dieselbe Folter, dieselbe Korruption und dieselben Lügen in den Medien - nur alles noch viel schlimmer."