Der spätere US-Senator Patrick Moynihan sagte damals in einem Moment prophetischer Erkenntnis folgenden Satz: "Wir werden nie wieder jung werden."

Ungläubiges Entsetzen - das war damals die erste Reaktion auch in Österreich. John F. Kennedy war die Symbolfigur der Hoffnung einer ganzen Generation: 1961 war er in Wien mit dem sowjetischen Staats- und Parteichef Chruschtschow zusammengetroffen und 1962 hatte er in der Kuba-Krise, als die Welt vor einem Atomkrieg stand, seine verantwortungsvolle staatsmännische Haltung bewiesen. Der 46-Jährige weckte in einer Hochphase des Kalten Krieges die Hoffnung auf Frieden. Er schien die Verkörperung einer Zukunft zu sein, die mit dem Mondflug den Aufbruch zu "neuen Grenzen" versprach und mit dem Peace Corps eine Annäherung an die Dritte Welt - ohne wirtschaftskoloniale Hintergedanken. Immer wieder zitiert wurden seine anfeuernden Worte: "Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann, fragt, was ihr für euer Land tun könnt."

Nicht einmal fünf Jahre später starben dann zwei weitere Hoffnungsträger durch Attentäter: Martin Luther King, der schwarze Bürgerrechtskämpfer, und Kennedys Bruder Robert, der als Präsidentschaftskandidat angetreten war. Einen eigenwilligen Versuch der Aufarbeitung dieser fünf Jahre versuchte der Wüterich der US-Kriminalliteratur, James Ellroy, in einem 850-Seiten-Wälzer mit dem Titel "Ein amerikanischer Albtraum".

Literarische Spurensuche

Aber Ellroy war nur einer von vielen, deren Fantasie durch manche Merkwürdigkeiten beim Tod dieses Präsidenten literarisch zu seitenreicher Spurensuche angeregt wurde. Dazu gehörten literarische Kaliber wie Norman Mailer ("Oswalds Geschichte") und Don DeLillo mit seinem Roman "Libra", der auf Deutsch unter dem Titel "Sieben Sekunden" erschien. Dabei schien alles geklärt: Zehn Monate nach dem Attentat von Dallas veröffentlichte die von Kennedys Nachfolger, Präsident Lyndon B. Johnson, eingesetzte Untersuchungskommission ihren Bericht. Sie wurde von dem damaligen Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofes, Earl Warren, geleitet. Dieser "Warren-Report" fasste die Ergebnisse der Nachforschungen auf 888 Seiten zusammen.

Fazit der peniblen Auflistung: Präsident John F. Kennedy wurde von einem Einzeltäter erschossen. Der Mann hieß Lee Harvey Oswald, war 24 Jahre alt und kurz nach seiner sehr prompten Festnahme selbst erschossen worden. Oswald erwies sich als "praktisch" für eine Präparierung als Sündenbock. Das fanden jedenfalls wachsame Verschwörungstheoretiker. Aber war diesem ehemaligen Angehörigen des US-Marine-Corps tatsächlich die Fertigkeit zuzutrauen, aus dem fünften Stock eines Bücherlagers in rascher Folge drei gezielte Schüsse auf ein fahrendes Objekt abzugeben und sein Opfer auch tödlich zu treffen?

Der Attentäter

Lee Harvey Oswald hatte einige Zeit in der Sowjetunion gelebt, war mit einer russischen Frau verheiratet und in Kontakt mit Sympathisanten des Kubanischen Staatschefs Fidel Castro. Die einen wollten in ihm eine im Leben gescheiterte labile Persönlichkeit sehen. Andere erkannten in Oswald einen Doppelagenten, der nicht merkte, dass er raffiniert manipuliert wurde. Als patriotischer Rächer trat Jack Ruby auf. Dieser Barbesitzer hatte nicht nur Verbindungen zu Mafiakreisen, sondern auch eine besondere Beziehung zum FBI-Büro in Dallas.

Die kritische Durchforstung des Warren-Berichtes sicherte dann nicht die vorgebliche Wahrheit ab, sondern förderte neue Unsicherheiten zutage. Fragmentarisch zusammengefasst ging es dabei darum, wie viele Schützen von wo auf den Präsidenten geschossen hatten. Wieso schnellte der Kopf des Präsidenten zurück? Deutete das nicht auf einen Schuss von vorne hin, obwohl die tödlichen Schüsse laut Warren-Bericht von hinten abgegeben wurden? Es gab widersprüchliche Zeugenaussagen, es gab nicht angehörte Zeugen und eine seltsam hohe Sterblichkeitsrate unter wichtigen Zeugen.

Die Ermordung John F. Kennedys hatte sieben Sekunden gedauert. Zehn weitere Sekunden sorgten dann dafür, dass die Debatte über die Hintergründe seines Todes noch ein paar Jahrzehnte weiterging. Zehn Sekunden dauerte nämlich der Amateurfilm, den Abraham Zapruder an diesem 22. November 1963 in Dallas mit seiner Acht-Millimeter-Automatikkamera gedreht hatte. Der Film zeigt den Präsidenten im offenen Wagen. Neben ihm seine Frau Jackie. Plötzlich hört Kennedy zu winken auf, greift sich mit beiden Händen an den Hals und beugt sich nach vorn. Dann werden Kopf und Körper nach hinten gerissen. Schließlich sinkt der Getroffene zur Seite und die von Panik erfasste Präsidentengattin in ihrem rosa Kostüm kriecht auf allen vieren zum Heck des Wagens. Der Zapruder-Film wurde der Öffentlichkeit erst fünf Jahre nach dem Attentat im TV gezeigt. Immer wieder. Seither glauben viele Zeitzeugen, sie hätten die Ermordung Kennedys im Fernsehen gesehen. Aber die Erschießung Lee Harvey Oswalds konnte man tatsächlich im Fernsehen miterleben.

Zweite Untersuchung

Wieder wurde eine Untersuchung angeordnet. Ein Sonderausschuss des US-Kongresses kam dann Ende 1978 nach zweijähriger Untersuchungsarbeit zu folgendem Schluss: "Akustisches Beweismaterial legt mit hoher Wahrscheinlichkeit nahe, dass zwei Schützen auf Präsident John F. Kennedy gefeuert haben". Der Ausschuss glaube, so hieß es, dass Kennedy "wahrscheinlich als Ergebnis einer Verschwörung ermordet worden ist". Doch wer sollte eigentlich Interesse an einer Verschwörung zur Ermordung des amerikanischen Präsidenten haben? Einer der ersten seriösen Autoren, die ihre Bedenken gegen den Warren-Bericht publizistisch dokumentierten, war der Anwalt Mark Lane, der im August 1966 "Rush to Judgement" veröffentlichte. Lane versuchte den Nachweis zu erbringen, dass es ein CIA-Komplott zur Ermordung Kennedys gegeben habe. Der Grund: Nach dem Unternehmen Schweinebucht, der peinlich missglückten Aktion zur Wiedereroberung Kubas durch Exil-Kubaner, die vom CIA inszeniert worden war, hatte John F. Kennedy deutlich zu erkennen gegeben, dass er den zu machtvoll gewordenen Nachrichtendienst energisch zurechtstutzen wolle.

Die Akte Lee Harvey Oswald

Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus wurden auch die KGB-Akten zugänglich. Die Akte Nr. 31451 über Lee Harvey Oswald umfasste fünf Bände. In einem "Spiegel"-Interview meinte der einstige KGB-Chef Wladimir Jefimowitsch Semitschastny: "Oswald war eine Null und völlig nutzlos für uns. Unsere Experten konnten einfach nicht glauben, dass eine solche Niete Hauptakteur eines Attentats auf Kennedy sein konnte."

Im Rückblick ist die Tragödie des Kennedy-Todes vielleicht wirklich nur eine absurde Schrulle der Geschichte: Ein kleiner, im Leben zu kurz gekommener Gelegenheitskiller knallt den Präsidenten des großen Amerikas ab. Aber mit diesem Sinn für das Absurde könnte man diesen Mord auch als eine Geschichte der Paranoia des Kalten Krieges mit einem gewissen Aktualitätsgrad sehen: Inzwischen gab es den 11. September 2001, und der Kalte Krieg wurde durch den Krieg gegen den Terror ersetzt. John F. Kennedy ist 50 Jahre tot, doch die Paranoia wuchert höchst lebendig weiter.