Anscheinend muss bei einer großen Koalition in Deutschland alles groß sein. Das sich abzeichnende Bündnis aus CDU, CSU und SPD hat nicht nur im ersten Schritt das Bundestagspräsidium erweitert. Mit zwölf Fach-Arbeitsgruppen und vier Unterarbeitsgruppen wird bei den Gesprächen für die große Koalition auch die Struktur der schwarz-gelben Abstimmung 2009 getoppt.

Die Verhandlungen sollen von einer zentralen Gruppe von gleich 75 Personen geführt werden - mit möglicherweise schwierigen Folgewirkungen. Zudem warnen die mutmaßlichen künftigen Oppositionsparteien angesichts der Wunschlisten von Union und SPD bereits vor "ganz großen Ausgaben". Und schließlich: Eine große Koalition soll auf einem ganz großen Konsens aufbauen.

Dies hat zu einer für viel auf den ersten Blick überraschenden Besetzung der Arbeitsgruppen vor allem von Seiten der Sozialdemokraten geführt. So soll Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz die Finanz-Arbeitsgruppe leiten - was prompt als Indiz gedeutet wurde, dass die SPD der Union doch das Finanzministerium überlassen könnte. Zudem wurde die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft an die Spitze der Energie-Arbeitsgruppe gesetzt.

Völkerkongress

Daraus aber bereits Vorentscheidungen über Personalbesetzungen in der großen Koalition abzulesen, wäre wohl verfrüht, schon weil niemand mit einem Wechsel von Scholz nach Berlin rechnet. Bei der Union sind ohnehin die bisherigen Minister für ihre Fachgebiete an die Spitze der paritätisch besetzten Arbeitgruppen bestimmt worden - ohne dass dies eine Jobgarantie wäre. 2009 etwa verhandelte Ronald Pofalla für die Union zunächst das Thema Arbeit und Soziales - und wechselte dann nicht etwa ins zuständige Ministerium, sondern ins Kanzleramt.

An der Struktur der Verhandlungen lässt sich aber schon eher ablesen, welche Themen den Parteien besonders wichtig sind - und wo besonders viel Zündstoff für die Koalitionsverhandlungen steckt. Energie ist nun von der Wirtschaft getrennt worden, was die Spekulationen nährt, dass am Ende doch ein Ressort stehen könnte, das die Energiewende managt. Die Bankenregulierung erhält zumindest eine Unterarbeitsgruppe im Bereich Finanzen. Und dass SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sich um das Thema Arbeit und Soziales kümmern soll, zeigt auch die zentrale Bedeutung dieses Themenfeldes für die Partei.

Am folgenreichsten für die Politik der neuen Bundesregierung könnte sich aber die Zusammensetzung der zentralen Verhandlungsgruppe mit 75 Mitgliedern erweisen, die wegen der Größe prompt als "Volkskongress" verspottet wurde. Die Union macht zwar intern keinen Hehl aus der Tatsache, dass sie eine solch große Gruppe für viel zu groß hält. Aber die SPD muss zur innerparteilichen Stabilität eben nicht nur die Funktionäre und Mitglieder befragen, sondern auch die außerhalb von Berlin sitzenden starken Kräfte in der Partei einbinden. Dennoch ist es eine Premiere, dass bei einer Bildung der Bundesregierung nun bis auf den Grünen Winfried Kretschmann gleich 15 Ministerpräsidenten schon bei der Regierungsbildung mitreden. Einige leiten sogar Arbeitsgruppen. Dabei hatte Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel noch vor kurzem in einer internen Sitzung der Unions-Fraktion betont: "Dies war eine Bundestagswahl und keine Summe von 16 Landtagswahlen."

Geholfen hat diese Ermahnung offensichtlich nicht. Angesichts der Großaufgaben Föderalismusreform und Energiewende ist zwar tatsächlich in der neuen Legislaturperiode eine enge Abstimmung mit dem Bundesrat nötig. Aber vor allem den Wirtschaftspolitikern in der Union schwant schon vor der Aufnahme der Koalitionsverhandlungen Böses. "Wenn die Länder mitreden, wollen sie eigentlich immer nur eins - Geld", heißt es dort. Vielleicht sind auch deshalb führende Unions-Politiker in den vergangenen Tagen schon einmal etwas von ihrem Wahlkampf-Versprechen abgerückt, in dieser Legislaturperiode mit der Tilgung des 1,3 Billionen Euro hohen Schuldenberges des Bundes zu beginnen.