Matthias Strolz, was ist Ihre Erklärung für den Erfolg Ihrer Gründung?

MATTHIAS STROLZ: Wir haben selber immer an den Erfolg geglaubt - das strahlst du ja auch aus. Und wir haben eine ganz ungewöhnliche Kombination von Idealismus und Professionalität gezeigt. Das hat es in dieser Form noch nicht gegeben in Österreich.

Auch nicht bei den Grünen?

STROLZ: In der Grünbewegung gab es viel Idealismus, aber sie brauchten zehn Jahre, um sich professionell zu finden und zu integrieren. Deshalb sind sie nicht beim ersten Mal ins Parlament gekommen.

Was heißt professionell?

STROLZ: Damit meine ich, dass wir wahrscheinlich die sozial cleverste Partei des Landes sind. Wir haben immens viel Wissen über den Bau einer Organisation gesammelt und angewendet.

Was ist so anders bei den Neos?

STROLZ: Die Organisationskultur. Das ist eine Frage der Vibes, der Vibrationen. Parteien sind ja in der Organisationslandschaft des Landes etwas vom Unattraktivsten, was es gibt. Sie haben keine Vitalität, keine Strahlkraft. Sie werden keine jungen Leute finden, die sagen, hurra, ich gehe zu einer Partei, weil es chic ist. Bei uns war es chic und inspirierend. Wir haben die Grünen als Lifestyle-Partei abgelöst.

Also was machen Sie anders?

STROLZ: Bei einer klassischen Partei ist eine Veranstaltung mit mehr als 40 Leuten immer gleich: Kinobestuhlung, und vorne redet einer. Bei uns gibt es kaum solche Veranstaltungen.

Haben Sie von anderen Parteien gelernt?

STROLZ: Wir haben uns mit Managern der französischen Sozialisten getroffen, weil wir wissen wollten, wie sie es geschafft haben, fünf Millionen Haushalte zu besuchen für François Hollande. Wir haben uns angeschaut, wie Obamas Leute online und offline verzahnt haben.

Haben Sie etwas nachgemacht?

STROLZ: Wir haben 60.000 Hausbesuche und 200 "neos@home"-Partys gemacht. Da waren zehn bis 120 Leute, Multiplikatoren.

Wäre der Erfolg ohne Social Media möglich gewesen?

STROLZ: Nein, vor allem in der Aufschaukelung der letzten Wochen war das extrem wichtig. Mir haben alle gesagt, Social Media lassen sich nicht in Stimmen ummünzen. Ich habe gefragt, woher wisst Ihr denn das? 2008 gab es in Österreich 200.000 Nutzer von Facebook, jetzt sind es ungefähr drei Millionen. Es gibt keine Erfahrungswerte. Aber bei Obama hat man gesehen, dass es funktioniert. Im September sind wir explodiert. Bei den Google-Anfragen hatten wir so viel Resonanz wie alle anderen zusammen.

Sie haben gesagt: "Ich halte Politik für eine spirituelle Disziplin." Was heißt das?

STROLZ: Das ist auf mich persönlich bezogen, viele Neos werden das nicht unterschreiben. Was es heißt? Ich mache Politik von einem inneren Ort großer Klarheit und Ruhe aus. Auch wenn manche sagen, der ist ein Duracell-Hase, ein Gschaftlhuber - die Quelle ist ein innerer Ort großer Ruhe und Klarheit. Und der wird gespeist von einer Verbundenheit mit dem großen Ganzen. Ich fühle mich mit der Welt, mit den Menschen und mit der Natur verbunden. In all dem wohnt etwas Göttliches, davon bin ich überzeugt.

Eine pantheistische Religiosität?

STROLZ: Ich bin immer noch eingeschriebenes Mitglied der katholischen Kirche und wir haben auch alle drei Kinder getauft nach längerer Diskussion, weil meine Frau ausgetreten ist. Wir wollen unseren Kindern eine Ahnung von Gott vermitteln.

Die Kirche ist ein weites Land, wo würden Sie sich da einordnen?

STROLZ: Bei den Mystikern. Ich bin nicht katholischer Mainstream, aber es gibt sicher genügend Gelehrte, die sagen, der Typ hat schon noch Platz bei uns mit seinem Gottesbild.

Sie waren fünf Tage allein im Wald und haben gefastet?

STROLZ: "Vision Quest" ist ein Selbsterfahrungsformat, das in den USA Zehntausende machen. Auch im Management-Training in Europa gewinnt es Platz.

Warum haben Sie es versucht?

STROLZ: Ich wollte ein Buch über Wege zu mir selbst schreiben. Ein Weg heißt eben "Vision Quest". Mir wurde klar, dass ich es selber versuchen muss, nicht nur drüber schreiben darf. Wenn ich merke, dass mein Herz ruft und ich kneife, das halt ich nicht aus. Du kannst ersticken an deinen Talenten, wenn du sie nicht lebst.

Die Politik hat Sie gerufen?

STROLZ: Ja. Mir war immer klar, ich will in die Politik, dort wartet eine Aufgabe auf mich.

Wer oder was hat Sie aus der ÖVP vertrieben?

STROLZ: Ich habe sehr gute Erinnerungen an meine Arbeit im Wirtschaftsbund und will niemandem Steine nachwerfen. Mit der ÖVP habe ich durchwachsene Erfahrungen. 2001 habe ich öffentlich Wolfgang Schüssel kritisiert, darauf wurde ich von seinem Stab über Jahre geschnitten. Ich habe viel von Josef Prölls Perspektivenprozess erhofft und war herb enttäuscht, als dieser gekillt wurde. Das war ein großer Bruch mit der Partizipationsidee. Da war für mich klar, ich gehe eigene Wege. Das war nicht einfach, weil ich viel von Loyalität halte, in der Politik und im Leben insgesamt.

Hat keiner gesagt: Bleib doch?

STROLZ: Die haben gedacht, lasst ihn machen, das ist unmöglich, was er vorhat. Zum anderen habe ich ja nicht gefragt, ob ich das darf, ich habe sie nur informiert.

Was ist den einstigen Großparteien verloren gegangen?

STROLZ: Sie sind ausgebrannt. Eines Tages ist der Zug der Zeit ohne die Volksparteien aus dem Bahnhof gefahren. Sie haben sich strukturell nicht erneuert. Weder die SPÖ noch die ÖVP waren in den letzten zwanzig Jahren imstande, den Wandel in sich aufzunehmen. Deswegen schauen sie heute so alt aus.

Sie wollen ein koalitionsunabhängiges Bildungsministerium?

STROLZ: Ja, die Initiativen sollten direkt ins Parlament kommen, ohne Ministerratsbeschluss. Alle Abstimmungen wären geheim.

Im Parlament hätten Reformen eine Mehrheit. Warum soll die ÖVP darauf eingehen?

STROLZ: In der Bildungsfrage wird es die ÖVP sonst zerreißen. Unsere Ideen für die Bildung sind ganz nahe an den Plänen der Wirtschaftskammer und der JVP.

Wie wollen Sie Schule?

STROLZ: Die Mittelschule führt bis 15 zur mittleren Reife. Sie soll Basiskompetenzen vermitteln.

Jetziges Hauptschulniveau?

STROLZ: Das Niveau einer guten Hauptschule. Im Klostertal ist sie nicht vergleichbar mit Wien-Favoriten. Wenn du dort warst, bist du Kandidat für eine Saisonkarte vom AMS. Der Skandal ist, dass Abschlüsse in Österreich nicht zu vergleichen sind. Dann funktionieren die Anschlüsse auch nicht. Wenn ein Viertel der Kinder nicht lesen kann, kannst du den Lehrplan schreddern lassen.

Was müsste passieren?

STROLZ: Eine Qualitätsagentur des Bundes soll die Mittelschulen anonym prüfen. Wenn die Standards nicht reichen, muss man harsch gegensteuern, den Standort schließen oder neu aufsetzen.

Was macht Sie optimistisch, dass sich die Blockade lösen lässt?

STROLZ: Nirgends ist es so wichtig wie im Bildungsbereich, die alten Muster zu durchbrechen.

Politik ist extrem zeitintensiv. Wie wollen Sie das mit Ihrer Familie vereinbaren?

STROLZ: Dazu brauch ich auch meine Frau, die mir ab und zu die Gelbe Karte zeigt und mir sonst den Rücken stärkt.

Was machen Sie, wenn Ihnen die Puste ausgeht?

STROLZ: Wenn's eng wird, komme ich an den inneren Ort zurück, von dem aus ich Politik mache. Das geht besonders gut in der Natur. Und natürlich ist meine Familie ein unendlicher Hort der Geborgenheit. Für mich ist es das Größte, Vater zu sein, eine glückliche Familie zu haben.