Als der damalige US-Präsident George W. Bush im Jahr 2002 seine "Achse des Bösen" skizzierte, ignorierte er die syrischen Massenvernichtungswaffen und trommelte zum Angriff auf den Irak. Während der Westen im libyschen Bürgerkrieg intervenierte, sah er dem Schlachten in Syrien mehr als zwei Jahre lang zu. Und selbst das im Fall des Iran auf einen Präventivschlag drängende Israel hat mit dem syrischen Chemiewaffenarsenal leben gelernt.

Viel steht am Spiel

Das Zaudern hat einen Grund: In Syrien steht nämlich so viel auf dem Spiel wie in kaum einem anderen Konflikt. Syrien liegt nicht nur geographisch in der Mitte der Nahost-Region, sondern ist auch Dreh- und Angelpunkt für mehrere Konflikte. Ein Eingreifen in den dortigen Bürgerkrieg könnte eine unkontrollierbare Kettenreaktion im Nahen Osten auslösen, mit dem Iran und Israel als Hauptexponenten. Syrien ist nämlich eng mit dem Iran verbündet, der wiederum der Erzfeind Israels und der USA ist. Teheran hat den Westen bereits davor gewarnt, dass es mit einem Angriff auf Syrien eine "rote Linie" überschreiten würde. Israel wiederum könnte sich bei einem Eingreifen Teherans gezwungen sehen, den Iran anzugreifen.

Aus der geplanten "chirurgischen" westlichen Militäroperation zur Bestrafung der syrische Armee könnte somit ein Konflikt zwischen den beiden wichtigsten Militärmächten der Region werden. Bei iranischen Angriffen auf Israel wären die USA gezwungen, zum Schutz ihres wichtigsten Verbündeten umfassend in den Konflikt einzugreifen. Israel könnte auch noch über zwei weitere Wege in den Syrien-Konflikt hineingezogen werden. Einerseits durch einen verzweifelten Angriff des Assad-Regimes auf die Waffenstillstandslinie auf den Golan-Höhen, die von Israel im Sechs-Tage-Krieg 1967 annektiert worden waren.

Und andererseits über den libanesischen Bürgerkrieg, in das syrische Regime schon seit Jahrzehnten mitmischt. Auf diesen ist der Syrien-Konflikt schon in den vergangenen Monaten immer mehr übergeschwappt. Einerseits leistete die vom Iran unterstützte schiitische Hisbollah-Miliz der bedrängten syrischen Armee militärische Hilfe, andererseits kam es im Libanon selbst zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Hisbollah-Kämpfern und Gegnern des Assad-Regimes. Israel flog mehrmals Luftangriffe auf Syrien, um angebliche Waffenlieferungen an die Hisbollah zu unterbinden, die den jüdischen Staat im Sommer 2006 mit Raketenangriffen in einen verlustreichen Krieg verwickelt hatte.

Auch für die beiden Regionalmächte Türkei und Saudi-Arabien steht im Syrien-Konflikt viel auf dem Spiel. Aus Furcht vor einer Ausdehnung des iranischen Einflusses in der Region haben sie sich auf die Seite der Assad-Gegner gestellt. Während das bitterarme westliche Nachbarland Jordanien unter der Flüchtlingswelle aus Syrien ächzt, könnte eine Internationalisierung des Syrien-Kriegs die fragile Machtbalance im östlichen Nachbarland Irak in den Grundfesten erschüttern. Eine Zuspitzung des Syrien-Konflikts könnte auch die schiitische Regierung in Bagdad in die Hände des Iran treiben. Sie sieht sich nämlich ebenso wie das Assad-Regime mit sunnitischen Aufständischen konfrontiert, die bei einem westlichen Eingreifen in Syrien Auftrieb erhalten könnten. Damit droht auch ein Aufflammen des nur notdürftig befriedeten irakischen Bürgerkriegs.

Weltpolitische Dimension

Anders als der umstrittene US-Feldzug im Irak hat der Syrien-Konflikt auch eine unmittelbare weltpolitische Dimension. Das geplante westliche Eingreifen in Syrien berührt nämlich auch militärische Interessen Russlands, das im syrischen Hafen Tartus seinen einzigen Militärstützpunkt im Mittelmeerraum unterhält. Auch wenn die Weltregion und die Zeit eine andere ist, sind die Parallelen zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs, der sich im kommenden Jahr zum 100. Mal jährt, nicht von der Hand zu weisen. Die damals nach einigem Zaudern unternommene österreichisch-ungarische "Strafaktion" für die Ermordung des Thronfolgers wuchs sich wegen der gegenseitigen Verstrickung der europäischen Mächte innerhalb weniger Wochen zu einem globalen Konflikt aus.

Im Syrien-Konflikt droht ähnliches, auch ohne die damalige Kriegsbegeisterung.