Die britische Zeitung "The Guardian" ist nach eigenen Angaben wegen der geheimen Dokumente des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden von der Regierung in London massiv unter Druck gesetzt worden. Chefredakteur Alan Rusbridger schrieb in der Dienstagsausgabe, das Blatt sei zur Zerstörung oder Herausgabe des Snowden-Materials aufgefordert worden. Die Regierung habe gedroht, juristisch gegen die Zeitung vorzugehen.
Sechs Fragen und Antworten zu dem ungewöhnlichen Vorgehen der britischen Behörden.

1. Was wirft der "Guardian"-Chef den britischen Behörden vor?

ANTWORT: Laut Rusbridger hätten zwei Sicherheitsexperten der Abhörzentrale GCHQ die Zerstörung der Festplatten im Keller überwacht, um sicherzustellen, dass "nichts in den zerbogenen Metallresten von irgendwelchem Interesse für vorbeikommende chinesische Agenten sein kann". Ein "sinnloser Akt des Vandalismus", so Rusbridger, denn die Daten sind längst auf anderen Festplatten. Das meiste werde schon in New York redigiert. Amerikaner hätten wegen ihres "7th Amendment" (Verfassungsparagraf, der die Redefreiheit garantiert) mehr Pressefreiheit. Zum Vorfall gibt es keine weitere Quelle, der Zeitpunkt bleibt unklar. Sicherheitsbehörden und Regierung hüllen sich in Schweigen.

2. Wie versucht die britische Regierung, weitere Enthüllungen des Whistleblowers Snowden durch "Guardian"-Journalist Glenn Greenwald zu verhindern?

ANTWORT: Seit Wochen steht die Zeitung laut Rusbridger unter dem Druck der Regierung, die Berichte über die Snowden-Dokumente einzustellen. Regierungsvertreter seien vorstellig geworden und hätten behauptet, die Ansichten von Premier Cameron zu vertreten. Vor einem Monat habe man einen Anruf "aus dem Zentrum" bekommen und sei gewarnt worden: "Ihr habt euren Spaß gehabt. Nun wollen wir unsere Sachen zurückhaben."

Der Bericht folgt auf die Festnahme des Lebenspartners von "Guardian"-Journalist Glenn Greenwald. David Miranda wurde beim Zwischenstopp von Berlin nach Rio neun Stunden lang am Flughafen Heathrow festgehalten, nach eigener Darstellung in einem kleinen Zimmer von sechs Agenten "über sein ganzes Leben ausgehorcht". Ein Dolmetscher sei ihm nicht zur Verfügung gestellt worden. Das Angebot eines Anwalts schlug er aus, da er den britischen Behörden "nicht traute", schreibt der Guardian. Computer und Speicherkarten wurden beschlagnahmt. Er habe Passwörter seines Handys und Computers offenbaren müssen.

Rusbridger betont, Miranda sei kein Journalist, aber eine wichtige Stütze Greenwalds bei den Enthüllungen. Greenwald sagte, Miranda sei nach Berlin geflogen, um der Dokumentarfilmerin Laura Poitras Dokumente zu bringen. Diese habe ihm verschlüsselte Dokumente Snowdens auf Memory Sticks mitgegeben.

3. Wie begründet Scotland Yard das Vorgehen in beiden Fällen?

ANTWORT: Das Innenministerium bestätigt, dass die Polizei es auf die Daten abgesehen hatte. "Wenn die Polizei glaubt, dass ein Individuum im Besitz von hochgeheimen, gestohlenen Informationen ist, die Terroristen helfen würden, dann sollte sie handeln. Und der Gesetzesrahmen gibt ihr die Handhabe dazu. Diejenigen, die dieses Handeln kritisieren, sollten darüber nachdenken, wen sie damit unterstützen." Zuvor wurde die US-Regierung informiert, wie das Weiße Haus bestätigte. Washington bestritt, dass die Briten auf "Anweisung" der US-Nachrichtendienste handelten. Zur Festnahme Mirandas sagte Scotland Yard: Die Maßnahme sei "rechtlich korrekt" und "proportional" gewesen.

4. Gibt es eine Rechtsgrundlage für die neunstündige Festnahme am Flughafen Heathrow und für die Attacken der Sicherheitsbehörden auf den "Guardian"?

ANTWORT: Das Verhör Mirandas erfolgte auf Grundlage der Terrorismusgesetze von 2000 nach den in "Schedule 7" beschriebenen Maßnahmen. Sie erlauben der Polizei, Personen an Flug- und Seehäfen und internationalen Eisenbahnknotenpunkten bis zu neun Stunden festzuhalten, zu verhören und zu durchsuchen.

Anders als bei normalen "Festnahmen" ist es nicht notwendig, dass die Polizei einen Verdacht begründen muss. Folglich ist eine Verbindung zu tatsächlichen terroristischen Absichten eines Festgehaltenen nicht zwingend.

Ob die Zerstörung der Festplatten eine Rechtsgrundlage hatte, blieb unbeantwortet.

5. Wie reagiert die britische Politik auf die Festnahme von David Miranda, Lebenspartner des "Guardian"-Journalisten Glenn Greenwald?

ANTWORT: Der Vorsitzende des Innenpolitik-Ausschusses, Keith Vaz, nannte den Vorfall "eine außergewöhnliche Wende einer komplizierten Geschichte" und will von Scotland Yard Näheres wissen. "Ich kündige keine Untersuchung an. Es mag absolut vernünftige Gründe gegeben haben. Aber wenn wir das Terrorismusgesetz für Sachen benützen, die mit Terrorismus nichts zu tun haben, müssen wir das zumindest wissen". David Anderson, der als unabhängige Aufsichtsperson die Terrorismusgesetze überprüfen soll, hat ein Briefing von Scotland Yard angefordert.

6. Was sagt die britische Öffentlichkeit zum Fall Snowden?

ANTWORT: Zeitungen und auch Briten im Alltag regen sich bisher viel weniger über die Snowden-Affäre sowie die Überwachungsaktivitäten der Geheimdienste auf, als es die Berichterstattung des "Guardian" nahelegen würde. Wie die Politiker, denen es mit ihren Reaktionen vor allem um eine zu großherzige Auslegung des Terrorismusgesetzes geht, bewerten auch andere Zeitungen den Geheimnisverrat Snowdens eher zögernd. Die Attacken gelten dem zu weit geknüpften Terrorgesetz und nicht der Polizei. Rusbridger dagegen warnte Zeitungen vom rechten Spektrum, die Snowdens Verrat verurteilen und argumentieren, man müsse dem Staat vertrauen, vor einem "bösen Erwachen".