Einen herrlichen Flecken haben Sie sich zum Urlauben ausgesucht. Wie vertraut ist Ihnen der Wörthersee?

KARL SCHWARZENBERG: Der See ist ein Traum. Ich bin schon vor 50 Jahren hierher gefahren, damals zugestandenermaßen wegen der vielen schönen Mädchen, die im und am See waren.

Ist Ihnen eines davon besonders in Erinnerung geblieben?

SCHWARZENBERG: Aber na was! Selbstverständlich! Gott sei Dank sind wir heute noch befreundet.

Ist der politische Wechsel in Kärnten für Sie spürbar?

SCHWARZENBERG: Das kann ich als badender Sommergast nicht beurteilen. Dazu bin ich zu kurz hier. Ich bemerke nur, dass die hiesigen Zeitungen sehr kritisch über die Zeit von Jörg Haider berichten.

Was für ein Verhältnis hatten Sie zu Haider?

SCHWARZENBERG: Ich kannte ihn flüchtig. Er war ein hochintelligenter Mensch. Ich war gegen alles, was er gepredigt hat, und habe auch gegen die Besuche bei Gaddafi und alle anderen Kunststücke, die er aufgeführt hat, immer meine Bedenken gehabt. Und ich bin Kärnten nah genug, um zu wissen, dass hier völlig verantwortungslos gewirtschaftet wurde. Das ändert nichts daran, dass der Mann eines der wirklich großen politischen Talente war, die es in den letzten Jahrzehnten in Österreich gegeben hat.

Sie kuren als tschechischer Spitzenpolitiker seit zwei Wochen in Maria Wörth. Keine Sorge, dass man Ihnen das zu Hause krummnehmen könnte?

SCHWARZENBERG: Meine Gegner werfen mir in Tschechien sowieso vor, dass ich Österreicher bin. Was soll's? Solche blöden Vorwürfe kümmern mich nicht. Ich lebe mein Leben und mache das, wovon ich glaube, dass es richtig ist.

In Österreich wagt sich kaum mehr ein Politiker im Urlaub ins Ausland, aus Furcht, es könnte ihm als unpatriotischer Akt ausgelegt werden.

SCHWARZENBERG: Da halte ich es mit Bruno Kreisky, der zur Erholung nach Mallorca gezogen ist. Ich will im Urlaub meine Ruhe haben und nicht bei jedem Besuch in der Trafik oder im Kaffeehaus eine politische Diskussion führen müssen.

Warum spielen Ihre österreichischen Wurzeln in der tschechischen Innenpolitik noch immer eine so große Rolle?

SCHWARZENBERG: Das sind Angriffe unter der Gürtellinie. Das interessiert mich nicht. In der Politik geht es manchmal ziemlich tief zu. Daran muss man sich gewöhnen. Wenn man das nicht will, sollte man es lieber lassen. Wie hat US-Präsident Harry Truman gesagt: "If you don't like the heat, don't enter the kitchen - Wenn du die Hitze nicht magst, betritt nicht die Küche!"

Die Tschechen mögen Österreich nicht besonders. Warum?

SCHWARZENBERG: Das ist nicht wahr! Das hat sich sehr geändert. Die Jungen sind begeistert. Sie kommen im Winter in Scharen zum Skifahren. Und wenn ich am Sonntag durch Wien spaziere, komme ich aus dem Grüßen auf Tschechisch gar nicht heraus. Es gab Spannungen. Aber das ist vorbei. Selbst am Höhepunkt der Auseinandersetzungen um Temelín und die Bene?-Dekrete gab es einen Österreicher in Tschechien, der ungeheuer populär war. Raten Sie, wer das war!

Keine Ahnung.

SCHWARZENBERG: Na, der Kommissar Rex! Heute ist es sogar so, dass die Sympathien in Böhmen und erst recht in Mähren für Österreich stärker sind als umgekehrt.

Sie meinen, die Ressentiments gehen eher von den Österreichern aus. Warum ist das so?

SCHWARZENBERG: Die Leute genieren sich für die eigene böhmische Großmutter. Das diesbezüglich schönste Erlebnis hatte ich nach Fall des Eisernen Vorhangs beim ersten großen Treffen Österreich und damals noch Tschechoslowakei. Da sind in einer Ecke zusammengestanden: der österreichische Bundeskanzler Vranitzky, sein Finanzminister Lacina und der spätere Bundespräsident Klestil. Und auf tschechischer Seite: Finanzminister Klaus, Außenminister Dienstbier und der Kanzler des Präsidenten Schwarzenberg. Sie sehen: Wir sind die nächsten Verwandten. Und nichts hat man weniger gern als einen Verwandten. Der hat die gleichen schlechten Eigenschaften wie man selber, nur gehen sie einem beim anderen halt auf die Nerven.

Sie sind der beliebteste Politiker in Tschechien. Freut Sie das?

SCHWARZENBERG: So wie ein Bier oder ein steirischer Muskateller vor dem Essen. Alle drei Dinge nehme ich nicht zu ernst. Popularität verliert man so schnell, das können Sie gar nicht glauben. Das habe ich Gott sei Dank als Kind erlebt. Mein Vater war im Krieg im Widerstand. Nach 1945 gab es in unserem Bezirk in Böhmen keine patriotische Feier, wo er nicht reden musste. Im Jahr 1948 haben die Leute dann die Straßenseite gewechselt, um uns nicht grüßen zu müssen.

Täuscht der Eindruck, oder geht es im Vergleich zu Tschechien in der österreichischen Politik sehr beschaulich zu?

SCHWARZENBERG: Jaaa. Das bereitet mir aber auch Sorgen.

Was erfüllt Sie mit Sorge?

SCHWARZENBERG: Nötige Reformen wie die Erhöhung des Pensionsalters oder im Bildungswesen werden grundsätzlich nicht durchgeführt. Es geht Österreich so gut, dass man über die Mankos hinwegsieht. Das Land wird noch bittere Medizin schlucken müssen.

Lähmt die Große Koalition den Reformeifer?

SCHWARZENBERG: Ja, und die Leute spüren das. Sie spüren, so geht es nicht weiter. Spätestens bei der übernächsten Wahl gibt es keine Große, sondern mit Glück nur mehr eine Mittel-Koalition. Die Großparteien schrumpfen. Denn die Leute sind ja nicht dumm. Die würden mutige Politiker begrüßen.

Rot und Schwarz haben Furcht, es sich mit dem Wahlvolk zu verscherzen.

SCHWARZENBERG: Ja, damit bringen sie das Land um. Es ist hier ja wirklich alles sehr schön und gemütlich. Aber die Welt hat sich weitergedreht, vor allem in den letzten 20 Jahren.

Sie standen einst der ÖVP nahe. Was sagen Sie zum heutigen Mittelmaß der Partei? SCHWARZENBERG: Haben Sie das Gefühl, dass Faymann und die SPÖ ungeheuer aktiv sind?

Sie haben mit TOP 09 in Tschechien eine konservative Partei gegründet, die sehr erfolgreich ist. Haben Sie den Eindruck, dass die ÖVP ein echtes Angebot für Bürgerliche ist?

SCHWARZENBERG: Ich weiß nicht, was für ein Angebot sie ist. Es müsste ja nicht bürgerlich sein. Aber es müsste ein Angebot sein.

Was machen die Schwarzen falsch?

SCHWARZENBERG: Das kann und will ich nicht beurteilen. Man muss hundertprozentig ins Geschäft gehen und darf keine Angst haben, weder vor dem politischen Gegner noch vor dem Koalitionspartner.

Fürchtet euch nicht!

SCHWARZENBERG: Nie! Einfach rein!

Wie nimmt man Österreich denn in der Welt wahr?

SCHWARZENBERG: Es ist bedauerlich. Aber ich habe Zeiten erlebt, wo das Land hoch geachtet und man an seiner Meinung interessiert war. Der Höhepunkt war sicherlich zu Bruno Kreiskys Zeiten. Davor war aber auch Leopold Figl im Westen ungeheuer populär. Aber auch Wolfgang Schüssel wurde einige Zeit sehr geschätzt.

Wie sehr hat der Abzug vom Golan dem Land international geschadet?

SCHWARZENBERG: Die Reaktionen waren zwischen Entsetzen und Gelächter. Ich war gerade als tschechischer Außenminister in Brüssel, als in Wien der Beschluss gefällt wurde. Da sind einige zu mir gekommen und haben gesagt: "Deine Österreicher, ha, ha, ha!" Das tut weh. Man geniert sich, auch wenn man Außenminister des Nachbarlandes ist.

Woran liegt dieser Hang zum Sich-selber-klein-Machen?

SCHWARZENBERG: Na, an den Leuten. Österreich hat sich halt dazu entschlossen, sich selbst in der Welt mit Kitsch und Habsburg-Reycling zu verkaufen. Das ist traurig. Aber sogar ein so großer Pferdefreund wie ich kann langsam keinen Lipizzaner mehr sehen.