H err Professor, es ist still geworden um Sie. Wie lebt es sich abseits des Lichtkegels?

ALEXANDER VAN DER BELLEN: Angenehm. Ich muss nicht zu allem Stellung beziehen. Und wenn doch, so kann ich endlich meine Meinung sagen ohne ständige Barriere im Hinterkopf, ob ich noch auf Parteilinie bin oder schon darüber. Das genieße ich.

Was war im Rückblick als Parteichef am mühsamsten?

VAN DER BELLEN: Die parteiinternen Sitzungen. Erfreulicherweise hat sich das gewandelt. Das hat auch damit zu tun, dass in den Ländern Grüne in die Regierungen kommen. Das ändert die Weltsicht.

Wie erklären Sie sich den jüngsten Wachstumsschub für die Grünen gerade in so konservativen Ländern wie Tirol und Salzburg?

VAN DER BELLEN: Das Phänomen ist nicht neu. Auch Baden-Württemberg ist ein industriell hoch entwickeltes Land mit konservativer Bevölkerung und hat mit Winfried Kretschmann einen grünen Ministerpräsidenten. Wir Grüne treffen inhaltlich und stilistisch halt einen Lebensnerv.

Was für ein Nerv ist das?

VAN DER BELLEN: Wir sind in gesellschaftspolitischen Fragen liberaler als die Konkurrenz und moderner. Und wir haben ein emotional hoch aufgeladenes Kernthema: den Umweltschutz.

Das hatten Sie schon lange vor den jetzigen Erfolgen.

VAN DER BELLEN: Stimmt. Dann müssen wohl unsere Wähler offener geworden sein und weniger provinziell.

Könnte es daran liegen, dass die Grünen in den Ländern auf Imkereibesuche setzen statt auf fundamentalistische Programmatik?

VAN DER BELLEN: Ich könnte nicht behaupten, dass bei uns die Ideologen dominieren. Jedenfalls nicht seit meiner Zeit. Und das sind immerhin die letzten 20 Jahre. Auch ich habe als Parteichef einen Bauern im Burgenland besucht, der Tausende Sorten Paradeiser züchtet. Unterschätzen Sie die Wirkung eines Imkereibesuchs nicht. Das sind hochsymbolische Akte! Umweltminister Berlakovich hat diesen Fehler gemacht. Er hat völlig verkannt, wie emotional besetzt das Thema Bienen ist.

Bedauern Sie es, dass Sie den Höhenflug der Grünen nicht mehr als Parteichef pilotieren?

VAN DER BELLEN: Im Gegenteil. Es beruhigt mich. Denn es zeigt, wie viel Substanz die Grünen haben.

Sie sind "100 Prozent bio und null Prozent korrupt". So steht es zumindest auf den Plakaten.

VAN DER BELLEN: Klingt gut oder?

Ja, sogar das Salzburger Lodenbürgertum liebt die Grünen heiß dafür. Hätten Sie sich das in Ihren kühnsten Träumen vorgestellt?

VAN DER BELLEN: Beim echten Lodenbürgertum werden wir nie ein Leiberl haben. Aber ich freue mich, dass die Grünen in Salzburg und in Innsbruck stärkste politische Kraft geworden sind, ohne sich selbst zu verraten. Jeder muss Politik eben so machen, wie es ihm inhaltlich und als Person entspricht. Ich war im Zettelverteilen sicher nicht der Größte. Mit Wahlkämpfen auf der Straße hatte ich immer meine Schwierigkeiten.

Was war das Problem?

VAN DER BELLEN: Bei aller Liebe zu den Österreichern ist mir doch eine gewisse Distanz eigen. Ich hab' mir im Radio und im Fernsehen oft leichter getan als beim Standl am Marktplatz. Beim Zugehen auf die Leute habe ich Hemmungen gehabt. Ich wollte niemandem auf den Nerv gehen oder als aufdringlich erscheinen.

Ihr Auftreten ist großbürgerlich. Waren Anzug und Krawatte Ihre wirksamsten politischen Waffen?

VAN DER BELLEN: Ich bin, wie ich bin. Ich schätze Sekundärtugenden wie Pünktlichkeit und Höflichkeit. Wiewohl es keine Rolle spielen sollte, hat es im titelvernarrten Österreich sicher auch geholfen, dass ich Professor bin. Natürlich war ich mir der Wirkung meiner Kleidung bewusst. Ich habe Anzug und Krawatte durchaus als Provokation verstanden, um das Klischee vom Sandalen und Strickjacke tragenden Grünen zu zertrümmern.

Aus Bürgerschrecks sind in den Ländern Königsmacher geworden. Freut Sie die Metamorphose?

VAN DER BELLEN: Ich sehe das mit großem und erstauntem Vergnügen. Außerdem: Ohne Namen zu nennen, befinden sich doch ein zwei Leute darunter, mit denen ich als Bundessprecher ständig Wickel gehabt habe. Aber jetzt funktioniert es. Und es erschließt uns neue Wählergruppen. Ich habe oft bedauert, dass viele Grüne sehr säkular eingestellt sind. Dadurch haben wir die zahlreichen Sympathisanten vernachlässigt, die wir in kirchlichen Kreisen haben. Aber auch das entkrampft sich. Ich kenne zwar Grüne, die das Anti-Kirchenprivilegien-Volksbegehren unterstützt haben. Die meisten haben aber nicht unterschrieben.

Schwarz-Grün als Realität in den Ländern setzt sich gegen die rot-grünen Fantasien in Wien und im Bund immer mehr durch. Hat das die linksliberale grüne Funktionärsschicht schon überlauert?

VAN DER BELLEN: Tun wir nicht so, als ob Schwarz-Grün auf Landesebene etwas Neues wäre! In Tirol war Eva Lichtenberger bereits Mitte der 90er-Jahre Landesrätin. In Oberösterreich sitzen wir seit 2003 in der Landesregierung. Die gescheiterten Regierungsverhandlungen mit der ÖVP unter Wolfgang Schüssel kurz davor waren da sicher Wegbereiter. Dass es damals nicht geklappt hat, nagt bis heute an mir. Aber es hat auf beiden Seiten die Köpfe dafür geöffnet, dass Schwarz-Grün eine Option ist.

Auch auf Bundesebene?

VAN DER BELLEN: Ja, aber schwieriger. Denn es ist kein Zufall, dass Schwarz-Grün sich zuerst auf Landesebene angebahnt hat. Wir haben gesellschaftspolitische Anliegen wie die Gleichberechtigung der Homosexuellen, die vielen schwarzen Regional- und Lokalpolitikern zu weit gehen. Da sie aber legistisch in die Kompetenz des Bundes fallen, stellen sie auf Landesebene kein wirkliches Konfliktpotenzial dar.

Die Grünen könnten in Salzburg mithilfe der SPÖ und der Stronach-Partei sogar die Landeshauptfrau stellen. Ist die radikale Ächtung Stronachs politisch klug?

VAN DER BELLEN: Ich habe das Angebot der SPÖ erwartet. Ich möchte mich nicht einmischen. Aber Schüssel ist im Jahr 2000 als Dritter Kanzler geworden. Und in Kärnten wurde Christof Zernatto von der ÖVP mithilfe der SPÖ zweimal zum Landeshauptmann gewählt, obwohl er den geringsten Stimmenanteil hatte. Was spricht also für die Salzburger Grünen dagegen? Ich halte das für eine achtbare, beachtenswerte Variante.