Keiner will mit dem Wahlsieger: Zwar haben sich die konservativen "Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens" (Gerb) trotz starker Verluste als stärkste Kraft behauptet. Alle drei anderen Parlamentsparteien schlossen aber ein Zusammengehen mit der Partei von Ex-Premier Bojko Borissow aus. Für die Regierungsmehrheit braucht der Wahlsieger mindestens einen Koalitionspartner.

Dabei ist Borissow mit seinem überraschenden Rücktritt im Februar geglückt, was im Land der Erdrutschsiege seit 1990 noch keiner seiner Vorgänger geschafft hat: sich als stärkste Fraktion im Parlament zu behaupten. Als Zeichen für eine beginnende Stabilisierung wäre das Ergebnis aber fehlgedeutet. Sieger, Verlierer, rechts, links: Die gängigen Etiketten für die wahlwerbenden Parteien haben in Bulgarien aktuell kaum eine Bedeutung.

Nun ist es an Präsident Rossen Plewneliew, dem Parlament einen Regierungschef vorzuschlagen. Für die Sozialisten, die bei starken Zugewinnen wieder zweitstärkste Kraft wurden, erhebt deren Vorsitzender Sergej Stanischew Anspruch auf das Mandat zur Regierungsbildung. Nach ihrem Willen soll der frühere Finanzminister Plamen Orescharski Ministerpräsident werden. Der 52-jährige parteilose Wirtschaftswissenschaftler gilt als Garant für Finanzstabilität und wird deshalb oft als "bulgarischer Mario Monti" bezeichnet. Unterstützung bekommt Orescharski auch von der Bewegung für Rechte und Freiheiten, der Partei der türkischen Minderheit. Aber auch Sozialisten und Türken verfügen zusammen über keine Mehrheit im Parlament.

Gehalten hat sich die Verzweiflung. Die Protestierer, die Borissow vor drei Monaten aus dem Amt trieben, wurden bei der Wahl weder überzeugt noch besiegt. Nur übertölpelt: In der Kürze haben sie es nicht geschafft, eine Wahlliste aufzustellen. Ihre Empörung entlud sich schon in der Wahlnacht. Hinter sich wissen die Demonstranten eine tiefe Ernüchterung über Marktwirtschaft und parlamentarische Demokratie im Volk.

Die unklaren Verhältnisse im Parlament sind geeignet, alles noch schlimmer zu machen. Je wackliger die Mehrheit, desto stärker fühlen sich die vielen korrupten Regionalpatriarchen unter den Abgeordneten, die sich ihre Unterstützung mit Gefälligkeiten abkaufen lassen. Aber auch eine große Koalition wäre ein Wagnis: Schaffen sie es selbst gemeinsam nicht, das Los des ärmsten EU-Staates nachhaltig zu bessern, fällt das Land beim nächsten Mal den Extremisten und Gauklern in den Schoß.

Extreme profitieren nicht

Es spricht für die Bulgaren, dass sie in ihrer Verzweiflung auch dieses Mal nicht den Sirenengesängen der rechtsextremen Ataka gefolgt sind. Für die viertstärkste Kraft gab sich deren Vorsitzender Wolen Siderow staatstragend: Er sei "besorgt" über die schwierige Lage und sehe keine Chance, eine Regierung zu bilden. Neuwahlen im Herbst wollte Siderow nicht ausschließen. Seine Partei sei die einzige mit einem klaren Programm. Tatsächlich lässt Ataka mit ihrer aggressiven Propaganda gegen Roma und Türken keine Fragen offen.

Programmatisch fallen die Unterschiede zwischen den drei größten Parteien kaum ins Gewicht. Borissow hatte unter dem Eindruck landesweiter Proteste seinen nachfrageorientierten Finanzminister Simeon Djankow entlassen und mehr Investitionen versprochen. Orescharski hat gelobt, an der Hartwährungspolitik festzuhalten. Aber die Atmosphäre unter den Spitzenpolitikern ist vergiftet. Wegen einer Abhöraffäre haben Borissow und sein früherer Innenminister Zwetan Zwetanow es hinnehmen müssen, dass schon das letzte Parlament ihre Immunität aufhob. Gleiches droht ihnen nun im neuen. Zum Sündenregister kommt ein wahrscheinlicher Wahlbetrugsversuch: Die Polizei hatte in der Druckerei eines Gerb-Politikers 350.000 illegale Stimmzettel konfisziert.

Wenn es besser werden soll, müssen Konservative und Sozialisten sich zunächst auf ein gemeinsames Programm einigen; eine bloße Machtteilung, wie sie sich zwischen so stark verfeindeten Parteien anbietet, wäre der gemeinsame Tod.