D er Papst ist nicht tot, aber er ist nicht mehr Papst. Was sagt der oberste Benediktiner der Welt zu dieser einzigartigen und delikaten Situation? NOTKER WOLF: Die Situation ist gar nicht so delikat. Ich halte Benedikts Rücktritt sogar für sehr vernünftig. Wie soll ein 85-Jähriger, noch dazu mit Herzschrittmacher, eine Kirche von 1,2 Milliarden Christen leiten? Viele haben eine idyllische Vorstellung davon, was täglich auf den Papst zukommt an Staatsbesuchen, Gesprächen mit den Bischöfen aus aller Welt. Das sind keine Kaffeekränzchen. Das ist harte Arbeit. Da werden Probleme erörtert. Das strengt wahnsinnig an. Als Abtprimas habe ich auch viel zu tun und bin oft schon zu Mittag völlig k. o. Dabei bin ich zwölf Jahre jünger als Benedikt.

Wie sinnvoll ist heute die Verschmelzung höchster geistlicher Autorität und sehr weltlicher politischer Agenden in einer Person? WOLF: Das lässt sich gar nicht anders machen. Das Papstamt ist so angelegt. Ich staune auch immer, was die deutsche Kanzlerin Angela Merkel alles leistet. Die Frage ist, wie viele Aufgaben der Papst delegieren kann.

Ein Beispiel, dass man es sehr wohl anders machen kann, ist der Dalai Lama. Er ist nach seinem Rückzug aus der Politik geistliches Oberhaupt der Tibeter geblieben. WOLF: Wie stellen Sie sich das vor? Die katholische Kirche kann aus dem Papst doch nicht schnell einen Dalai Lama machen. Wir sind ganz anders strukturiert als die Buddhisten. Wir müssen von unseren Ursprüngen ausgehen: Jesus hat Petrus eingesetzt, um seine Brüder im Glauben zu stärken. Es braucht eine zentrale Leitung, es braucht Rom, es braucht den Papst. Wie wichtig diese Anbindung für die Weltkirche ist, zeigt das Beispiel der Katholiken in China. Für sie ist Rom ein Leuchtturm. Wäre es nicht der Papst, der die dortigen Ortsbischöfe ernennt, würde der chinesische Episkopat unter den Einfluss des Regimes in Peking gelangen.

Manche meinen, Benedikt habe mit seinem Rücktritt das Papstamt entmystifiziert und damit irreparabel beschädigt. Hat er das? WOLF: Im Gegenteil, er hat das Papstamt redimensioniert und bringt es wieder ins rechte Lot. Der Papst war ursprünglich der Bischof von Rom. Im Mittelalter und in der Neuzeit hat er dann eine ganz andere Stellung bekommen und ist gerade im letzten Jahrhundert schließlich fast vergöttlicht worden. Der Papst ist aber kein zweiter Gott, sondern ein Mensch, der als Nachfolger Petri die Kirche führen soll.

Was ist das Erhabene am Amt? WOLF: Mir gefällt das Wort erhaben nicht.

Was missfällt Ihnen daran? WOLF: Die Überhöhung. Wir sprechen ja nicht von einem mittelalterlichen feudalen Papst.

Sondern? WOLF: Vom Nachfolger Petri, eines Fischers aus Galiläa, eines Mannes, der Jesus im entscheidenden Augenblick verraten hat. Das Einzigartige am Petrusamt besteht darin, dass Jesus ihn trotzdem zum Hirten der Apostel gemacht hat. Der Prüfstein war weder Perfektionismus noch moralische Korrektheit, wohl aber die Liebe.

Was sind die dunklen Seiten des Papstamtes? WOLF: Jeder, der das Papstamt ausfüllt, ist nur ein Mensch. Kein Nachfolger Petri ist perfekt, sondern hat seine Schwächen und sündigt sogar. Das Großartige am Papstamt und unserer katholischen Universalkirche ist allerdings, dass beide trotzdem die Botschaft Jesu bei allen Schwächen bis in unsere Tage durchgetragen hat. Wer sonst, wenn nicht der Papst, setzt sich heute für die Menschenrechte und für den Frieden in der Welt ein?

Am Anspruch, Stellvertreter Christi zu sein, kann aber auch der Fähigste nur scheitern.

WOLF: Der Papst steht einer Weltorganisation vor, die zentral regiert wir. Wo aber regiert wird, da spielt natürlich das Streben nach Macht und Rang, Intrigen, Fragen des Geldes rein. Denn auch die Vertreter der Kirche wohnen nicht jenseits der Wolken, sondern auf dieser Erde. Trotzdem muss die Kirche ihre Ideale vertreten. Der griechische Philosoph Platon wurde einmal gefragt, ob der ideale Staat, über den er geschrieben hatte, einmal Wirklichkeit werde. Seine Antwort lautete: Nein, weil dann wäre es kein Ideal. Der Mensch ist und bleibt schwach, auch in der Kirche. Aber es gibt auch die Heiligen: Es gibt Leute, die es schaffen. Die Heiligen haben Großartiges geleistet. Doch das konnten sie nur, weil das Evangelium für sie die Mitte war.

Und doch stoßen die Gerüchte um Machtkämpfe, Intrigen und Sex im Vatikan viele Menschen ab. Was sagen Sie denen? WOLF: Es gibt nichts in der Kirche, was es nicht gibt. Nichts Menschliches ist ihr fremd. Warum schreibt wohl der heilige Benedikt im 6. Jahrhundert in seiner Ordensregel: "Du sollst nicht töten"? Weil es natürlich vorgekommen ist, auch in Klöstern. Benedikt selbst sollte zweimal vergiftet werden. Natürlich hauen auch Kirchenleute daneben. Wäre es nicht so, bräuchte ich als Abt nicht mehr zur Beichte gehen.

Die Kirche erlebt eine der schwersten Krisen ihrer Geschichte. Schon vor seiner Wahl hat Benedikt den vielen Schmutz beklagt. Hat das Papstamt noch Zukunft? WOLF: So wenig die Kirche trotz aller Gebrechen verschwinden wird, so wenig wird das Papstamt verschwinden. "Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen." Denn die Kirche ist kein Menschenwerk, sondern vom lieben Gott geleitet. Und der tut sich mit uns störrischen Böcken manchmal halt sehr schwer.

Könnten Sie sich auch neue kollegiale Formen der Führung der Weltkirche vorstellen? WOLF: Natürlich. Aber nur mit und nicht ohne den Papst. Die Leute meinen ja immer, die Unfehlbarkeit des Papstes bestünde darin, dass er von seinem Schreibtisch aus etwas dekretiert, und jeder müsse dann daran glauben. Aber das stimmt gar nicht. Der Papst drückt den Glauben der Kirche aus. Ehe Pius XII. im Jahr 1950 das Dogma der leiblichen Aufnahme Mariens verkündete, beriet er sich mit allen Bischöfen. Wussten Sie, dass Benedikt XVI. vor ein paar Jahren den Zölibat zur Diskussion gestellt hat?

Nein. WOLF: Hat er aber. Doch die Bischöfe waren mit großer Mehrheit dagegen. Hätte der Papst daraufhin trotzdem den Zölibat abgeschafft, so wäre er ein Diktator. Damit sind wir aber auch schon bei Ihrer Frage der Führung der Kirche. Diese wird zu jeder Zeit anders aussehen. Im Zeitalter des Absolutismus anders als in einer Demokratie. Uns hängt heute noch viel aus dem 19. und 20. Jahrhundert nach. Aber ich hoffe sehr, dass sich in der Kirche mehr an kollegialem und demokratischem Denken durchsetzt. Viele Bischöfe haben Angst, sich mit den Gläubigen zu beraten. Sie eröffnen Dialogprozesse, legen davor aber fest, worüber nicht gesprochen werden darf. Das geht nicht!

Was erwarten Sie sich von Benedikts Nachfolger? WOLF: Die Weitergabe des Glaubens und modernere Formen der Verwaltung und der Führung der Kirche. Der neue Papst muss sich mit vielen Leuten austauschen. Er braucht gute Berater und eine gute Kurie. Die ganze Struktur muss durchgeforstet werden.

Ihre Wunschliste mutet bescheiden an. Kein einziges heißes Eisen der Kirchenreformer findet sich darauf. Wie kommt das? WOLF: Da sage ich nur: Muss die Kirche all das übernehmen, was unsere heutige Gesellschaft einfordert? Muss sie sich dem Mainstream beugen? Nein. Im Gegenteil ist es der Säkularismus im Westen, der infrage gestellt gehört. Bringt der Konsumismus wirklich alles? Ist das der Lebenssinn? Und führt die Beliebigkeit wirklich in die Zukunft?

Wie soll der neue Papst sein? WOLF: Menschenfreundlich. Tiefgläubig. Bescheiden.

Wer soll es werden? WOLF: Eine Lektion, die ich im Leben gelernt habe, ist Toleranz. Ich kann mit jedem Papst leben.