Ist diese Neuregelung ausreichend, damit sich die Bestände von bedrohten Arten erholen können?

Melanie Aldrian: Nein, bedrohte Arten können und werden sich so nicht erholen. Erstens ist der Ratsbeschluss zu schwach. Das Parlament hat jetzt Möglichkeiten diese zu verbessern – wir appellieren das auch zu tun! Und zweitens sind viel umfangreichere Änderungen im Fischereimanagement nötig, vor allem auch, was den Abbau der Überkapazitäten bei den europäischen Fangflotten anbelangt. Wenige riesige Fischfabriken fangen viel zu viel Fisch. Die Fischerei-Reform erfordert Neuregelungen in sämtlichen Bereichen des Fischerei-Managements.

Wie kann und wird die Einhaltung der (erst nach und nach schlagenden) Rückwurfquote von neun Prozent überhaupt überprüft werden?

Aldrian: Kaum bis gar nicht, deshalb fordern wir auch null Prozent. Eine Null-Prozent-Regelung stand ja ursprünglich auch im Reformvorschlag des EU-Parlaments. Eine Regelung in Prozenten ist an sich ein großes Schlupfloch und würde hauptsächlich als Selbstverpflichtung gesehen werden. Wenn Kontrollorgane einen Fischer dabei erwischen, dass er Fisch über Bord wirft, kann kaum nachgewiesen werden, ob das nun mehr oder weniger als neun Prozent der Gesamtjahresfangmenge dieser Fischart ist.

Ist die Politik nicht in Wahrheit "Beifang" der Fischindustrie – oder wie kann man sich sonst erklären, dass es für die Neuregelung so lange gebraucht hat?

Aldrian: Ja, in der Tat. Manche mehr Politiker, manche weniger. Die Minister haben im Ministerrat an diesem Mittwoch ganze 21 Stunden dafür gebraucht, um nur sechs Absätze effektiv inhaltlich zu diskutieren! Blockiert haben die südlichen Fischereistaaten (Spanien, Frankreich, Portugal, Italien) und Belgien. Einzig Schweden hat gegen die Ergebnisse und somit auch gegen die Neun-Prozent-Regelung gestimmt. Österreich war zwar bemüht – ließ sich dann aber auch auf die Kompromisse ein.

Ist durch die Neuregelung ein Preisanstieg für den Konsumenten zu erwarten?

Aldrian: Nein, im Prinzip nicht. Wenn die Bestände sich durch schonenderen Fischfang erholen und wieder mehr Fisch in den Meeren schwimmt, wird es einfacher ihn zu fangen und somit billiger und nicht teurer. Man kann von weniger Spritverbrauch und weniger Zeitaufwand ausgehen. Es kann passieren, dass es in der Umstellungsphase auch zu ein paar extra Kosten kommt, aber es ist nicht davon auszugehen, dass diese an die Konsumenten weitergegeben werden. Jeder Verbraucher sollte sich aber darüber im Klaren sein, dass viel Fisch derzeit noch unter Wert zu Dumping-Preisen verkauft wird. Da sind die Umweltkosten niemals mit einberechnet. Umgekehrt ist anzunehmen, dass mit weiterer Überfischung der Fischbestand weiter schrumpft und Fisch immer rarer wird. Dann wird mit einem gewaltigen Kostenanstieg zu rechnen sein, wie bereits am Beispiel Tunfisch zu sehen ist.

Abgesehen vom Thema "Rückwurf" – sind die Fangquoten in Europa nicht nach wie vor zu hoch?

Aldrian: Ja, das sind sie definitiv - weil die Minister wie immer die Fangmengen über den wissenschaftlichen Empfehlungen ansetzen. Das europäische Parlament hat deswegen auch als eine Zentralforderung folgendes in ihrer Position angenommen: Minister sollen in Zukunft Quoten immer nur bis zu der von Wissenschaftlern empfohlenen Höchstgrenze setzen. Die wissenschaftlichen Empfehlungen sollen in Zukunft verbindlich sein und die maximale Fanggrenze soll den Bestandsaufbau bis spätestens 2020 ermöglichen.

Wird genug "mit der Angel gefangener" Fisch im Handel angeboten – oder ist dieser nach wie vor ein verstecktes Nischenprodukt, zu dem Konsumenten kaum greifen?

Aldrian: Was Tunfisch anbelangt, konnten wir in den letzten Jahren erfolgreich Druck auf Hersteller und Handel ausüben und sie dazu bewegen nachhaltige gefangene Tunfisch Produkte in ihr Sortiment aufzunehmen. Es gibt mittlerweile eine Alternative für Konsumenten, aber generell gilt, dass das europäische Fischereiwesen noch immer Schleppnetze und andere zerstörerische Fangmethoden bevorzugt. Darum ist es wichtig die Regeln so zu reformieren, dass in Zukunft nachhaltiger und selektiver gefischt wird, z.B. mit Leinen, Reusen, Stellnetzen und dergleichen. Dann wird auch das Angebot für den Konsumenten größer.

Die EU-Fischereikommissarin Maria Damanaki will den Fischern helfen, sich auf die "ganz neue Realität" einzustellen und Subventionen verteilen – könnte man diese nicht noch besser einsetzen?

Aldrian: Ja, denn wo es Subventionen gibt, gibt es leider auch oft Missbrauch. Deshalb hat das europäische Parlament gefordert, dass Mitgliedsstaaten und Fischer, die sich NICHT an Regeln halten, auch keine Subventionen bekommen sollten. Greenpeace fordert, dass staatliche sowie EU-Gelder überwiegend in den Ausbau der Datenerhebung, Kontrolle und Überwachung der Fischerei sowie in Projekte die die Meeresumwelt und den Wiederaufbau der Bestände unterstützen, fließen.

Was ist davon zu halten, dass sich das Interpol-Programm gegen Umweltkriminalität künftig noch stärker in Sachen Schutz der Meere einbringen will?

Aldrian: Das ist ein wichtiger Schritt, den übrigens auch Europol verfolgt. Hier geht es aber nicht nur um Umweltkriminalität, sondern auch um Schmuggel von Menschen, Waffen und Drogen - Dinge, die ebenfalls auf Fischerei-Schiffen passieren.

Könnte Speisefisch aus europäischen Meeren einmal Geschichte sein bzw. zum sündteuren Luxusprodukt werden – weil leergefischt wurde?

Aldrian: Das könnte natürlich tatsächlich passieren, wenn die industrielle Fischerei den Raubbau der derzeit betrieben wird, fortsetzt und wie bisher sogar noch dafür subventioniert wird. Umso wichtiger ist deshalb jetzt, dass dieses Regelwerk umfassend und streng reformiert wird. Und das so schnell wie möglich.