Petr Fischer, renommierter Prager Kommentator, rieb sich am Donnerstag in einem Resümee des tschechischen Wahlkampfs verwundert die Augen: "Sind wir wirklich sicher, dass die ersten direkten tschechischen Präsidentschaftswahlen im Jahre 2013 stattfinden und nicht 75 oder 150 Jahre früher?" Vor dem entscheidenden zweiten Wahlgang am Donnerstag und Freitag stritten die Kandidaten - der bürgerliche Außenminister Karl Schwarzenberg und der frühere linke Premier Milos Zeman - nicht etwa um Zukunftsthemen. Die zahlreichen Duelle in Radio und Fernsehen wurden von einem Uraltthema völlig überlagert: vom Thema der Nachkriegsvertreibung der Deutschen. Als Schwarzenberg seine nicht neue These vertrat, dass diese Vertreibung aus heutiger Sicht eine grobe Verletzung der Menschenrechte darstellt, für die heute die damals Regierenden gemeinsam mit Präsident Edvard Benes vor das internationale Tribunal in Den Haag zitiert werden würden, war die Zukunft nicht mehr wichtig. Zeman spielte den Empörten, sprach Schwarzenberg jegliche Eignung für das höchste Amt im Staate ab und nannte ihn einen "Sudetjaken" - ein verächtlicher Begriff für Vertriebenenfunktionäre.

Die in einem Wahlkampf offenkundig nicht eben glückliche Äußerung Schwarzenbergs kam auch für einen anderen wie gerufen: Präsident Václav Klaus sah seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt, dass dieser Außenminister, der ewig im Exil gelebt habe, ein vaterlandsloser Geselle sei, der die Nachkriegsordnung infrage stelle.

In die unterste Schublade griff danach Klaus' Ehefrau Livia: Sie wolle nicht, sagte sie, dass auf der Prager Burg eine First Lady sitze, die (als Österreicherin) nur Deutsch spreche. Dass sie selbst als gebürtige Slowakin auch nicht eben "Tschechin" ist, ganz zu schweigen von der amerikanischen Ehefrau des Staatsgründers Masaryk, ließ sie unter den Tisch fallen. Auch die nationalsozialistische Vergangenheit des Vaters von Therese Schwarzenberg lastete das Zeman-Team ihrem Mann an. "Die meisten Männer haben Probleme mit ihrer Schwiegermutter, ich mit meinem Schwiegervater", sagte Karl Schwarzenberg dazu. Und Therese: "Ich habe mit meinem Vater über diese Zeit immer furchtbar gestritten." Es folgte ein Schlag unter die Gürtellinie dem anderen.

Freilich hat die Zuspitzung auf das Vertriebenen-Thema nach Meinung vieler Beobachter auch etwas Gutes: Es stellt die Tschechen vor eine wirkliche Richtungsentscheidung. Verharrt das Land im nationalen Mythos der eigenen Unfehlbarkeit und in der Zeit der Korruption, der einst Klaus und Zeman die Tore geöffnet haben? Oder führt es die "Samtene Revolution" von 1989 unter Václav Havel zum endgültigen Sieg. Letzteres würde einschließen, dass nach der lauter fragenden jungen Generation auch die Politik beginnen müsste, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Wie sich der schmutzige Wahlkampf auswirkt, ist offen; die Umfragen sehen Zeman leicht vorne.