Es war ein schönes Fest. Wie Angela Merkel und Francois Hollande vor tausend Abgeordneten beider Länder am Dienstag Glanzzeiten deutsch-französischer Freundschaft wiederaufleben ließen, das berührte. Vor flatternden Fahnen, an reich gedeckten Tafeln und zu Klängen Bachs und Saint-Saens' haben Deutsche und Franzosen 50 Jahre Völkerfreundschaft gefeiert. Gemeinsam haben Kanzlerin und Staatschef der Visionäre Charles de Gaulle und Konrad Adenauer gedacht, die mit der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags einer weltweit einmalig engen Allianz ehemaliger Kriegsgegner den Weg bereiteten. Und wäre die Berliner Zusammenkunft eine goldene Hochzeit gewesen, wie dies in Grußbotschaften anklang, man könnte sich als Zuschauer zufrieden zurücklehnen.

Aber die Rede von der goldenen Hochzeit führt in die Irre. Eheleute, die zusammen ein halbes Jahrhundert durch dick und dünn gegangen sind, dürfen es dabei bewenden lassen, dankbar zurückzublicken. Sie dürfen ausblenden, woran sie gescheitert sind. Vor allem dürfen sie, im wohlverdienten Ruhestand angekommen, die Hände in den Schoß legen. Aber Deutsche und Franzosen dürfen das nicht. Sie stehen weiter in der Pflicht. Ja, sie sind als Pioniere gefordert, ähnlich wie ein halbes Jahrhundert zuvor de Gaulle und Adenauer. Wer soll Europa denn aus der Krise führen, wenn nicht Deutsche und Franzosen, die ein Drittel der Bevölkerung der EU stellen, die Hälfte von deren Wohlstand erwirtschaften? Ob offene Grenzen oder gemeinsame Währung: Stets waren es Deutsche und Franzosen, die dem Fortschritt den Weg gebahnt haben.

Merkel und Hollande haben die Herausforderung nicht geleugnet. Wie sie ihr gerecht werden wollen, haben sie aber nicht gesagt. Und es sah auch nicht so aus, als sollten sie Antworten oder Lösungen in Hinterhand haben.

Sicherlich haben die Kanzlerin und der Staatschef in Berlin den Blick auch nach vorne gerichtet. So haben sie die umfangreiche Agenda deutsch-französischer Projekte um 70 weitere, zumal der Jugend zugedachte Vorhaben aufgestockt. Aber so erfreulich das ist: Wichtiger wäre gewesen, dass die beiden Staatenlenker aufzeigen, wie sie Europa zu einer wirtschaftlich und politisch gefestigten Gemeinschaft machen wollen, die das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen und in einer globalisierten Welt Gehör finden kann.

Dazu war und ist das Führungsduo leider nicht in der Lage. Appelle der Kanzlerin, die Europäer sollten mehr Mut zur politischen Union aufbringen und Brüssel größere Machtbefugnisse einräumen, hat Paris mit höflichem Schweigen quittiert. De Gaulles Modell eines "Europas der Vaterländer", eines Bündnisses souveräner Nationalstaaten, steht links des Rheins noch immer hoch im Kurs, so sehr sich die europäische Wirklichkeit auch davon entfernt hat.

Die Neigung, Berlin Zugeständnisse zu machen, sich Brüssel auszuliefern, ist umso geringer, als Frankreich wirtschaftlich angeschlagen ist. Seit der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags zählt Gleichrangigkeit zu den Grundfesten deutsch-französischer Beziehungen.

Deutsche Halbherzigkeit

Die deutsche Wiedervereinigung, die wirtschaftlichen Erfolge der Bundesrepublik und wachsende ökonomische Schwierigkeiten Frankreichs haben daran gerüttelt. Ängste vor deutschem Dominanzstreben sind aufgekommen, Zweifel, ob Berlin ein verlässlicher Partner ist. Die Halbherzigkeit, mit der Deutschland in Mali Frankreichs Kampf gegen den Terrorismus unterstützt, hat die Zweifel noch gemehrt.

Doch solange Deutsche und Franzosen der jungen Generation keinen klaren Weg in die Zukunft weisen können, bleibt der Appell, die Völkerfreundschaft mit neuem Leben zu erfüllen, ein frommer Wunsch. Wie sollen sich die im Bundestag hofierten jungen Menschen denn für das Nachbarland begeistern, dessen schwierige Sprache erlernen, wenn sie nicht erkennen können, worin der besondere Wert deutsch-französischer Beziehungen liegt?