Nur sechzig Schritte trennen die Büros von Senatsführer Harry Reid und dem Chef der republikanischen Minderheit Mitch McConnell im US-Kongress. Politisch aber liegen Welten zwischen den beiden erfahrenen Führern, die auf Drängen des Präsidenten versuchen einen Rettungsfallschirm für den Sturz von der Fiskalklippe zu packen. Die ganze Nacht über trugen Mitarbeiter Papiere durch die verlassenen Flure des Kongresses, den bis Sonntagnachmittag nur eine kleine Gruppe autorisierter Personen betreten durfte.

Obama erhöht den öffentlichen Druck

Von dem wenigen, was aus dem Konklave nach draußen drang, deutet alles auf eine Hängepartie hin. Dem Vernehmen nach können sich Reid und McConnell nicht auf die Einkommensgrenze verständigen, ab der die Steuersätze zum 1. Jänner hin steigen sollen. Ebenfalls strittig bleiben die Erbschaftssteuer und die Hilfe für Langzeitarbeitslose. Während die Senatsführer fieberhaft nach einem Kompromiss suchten, erhöhte Präsident Barack Obama den öffentlichen Druck. In einem Interview verlangte er Konsequenzen aus dem Ausgang der Präsidentschaftswahlen. "Die Amerikaner haben eine klare Entscheidung getroffen, welche Richtung sie einschlagen wollen", sagte Obama. "Sie wollen ein ausgewogenes, verantwortliches Paket."

Obama drängte den Kongress darauf, zumindest dafür zu sorgen, "dass für die überwiegende Mehrzahl der Amerikaner die Steuern nicht ansteigen". Falls es dazu komme, hätten dies die Republikaner zu verantworten, deren Hauptanliegen es sei, "die Steuervergünstigungen für die wohlhabendsten Amerikaner zu schützen". Vertreter der Republikaner wiesen die Vorwürfe zurück. "Das Problem ist die Ausgabensucht der Demokraten", feuerte Senator John Barrasso zurück. Der einflussreiche Abgeordnete im Repräsentantenhaus Darrell Issa hielt dem Präsidenten fehlende Ernsthaftigkeit beim Sparen vor. "Das Defizit wird größer und der Staat wächst." Notenbankchef Ben Bernanke hatte kürzlich seine Warnung vor gravierenden Konsequenzen für die Konjunktur wiederholt, falls es nicht zu einer Einigung komme. "Die Wirtschaft wird mit die Klippe herunterstürzen."

Jenseits einer pragmatischen Überbrückung der ideologischen Gräben werden in der Silvesternacht die Steuern für alle Amerikaner steigen. Gleichzeitig kehren die Erbschaftssteuer, Sozialabgaben für Renten- und Alterskrankenversicherung, Kapitalertragssteuer und Abgaben auf Dividenden auf das Niveau vor den Steuerreformen George W. Bushs zurück. Ebenso laufen die Hilfen für 2,1 Millionen Langzeitarbeitslose aus.