Für die Gegner von Kremlchef Wladimir Putin ist es eine völlig unbekannte Situation - aber aus ihrer Sicht ist tatsächlich der russische Präsident die letzte Hoffnung. Nur Putin kann jetzt noch ein umstrittenes Gesetz verhindern, das die Adoption russischer Kinder durch US-Familien verbietet. Doch gilt es als sehr wahrscheinlich, dass der Familienvater das Dokument in Kraft setzt. "Es gibt viele Argumente dafür", meint Kremlsprecher Dmitri Peskow und widerspricht damit lautstarken Protesten auch in dem von Putin zusammengestellten Menschenrechtsrat.

Einstimmig votiert am Mittwoch der Föderationsrat in Moskau - das Oberhaus - für das Dokument, das auch "Dima-Jakowlew-Gesetz" genannt wird. Dmitri Jakowlew, Kosename Dima, war im Alter von 21 Monaten gestorben, nachdem sein US-Adoptivvater ihn 2008 bei brütend heißem Wetter im Auto vergessen hatte. Dass der Vater freigesprochen wurde, sorgte in Russland für enorme Empörung. Nun schiebt Moskau in Dimas Namen Adoptionen in die USA einen Riegel vor. Nationalisten, die ein "Ausbluten" der Nation beklagen, sind entzückt.

Hardliner wollen mehr

Noch einen Schritt weiter will der Kinderschutzbeauftragte Pawel Astachow gehen - Adoptionen ins Ausland seien generell schädlich, sagt er. Nicht nur Dima, sondern insgesamt 19 russische Adoptivkinder seien in den vergangenen 20 Jahren in den USA ums Leben gekommen, betonen Befürworter des Gesetzes. In dieser Zeit nahmen US-Familien etwa 60.000 russische Kinder auf.

Kritiker sind sicher, dass die Sorge der Parlamentarier um das Kindeswohl nur vorgeschoben ist. Sie betonen, dass die etwa 650.000 Kinder, die derzeit in Russland ohne Eltern aufwachsen, kaum Aussichten auf eine glückliche Zukunft haben. Immer wieder kommen Kinder in Pflegefamilien oder Heimen zu Tode - oft durch brutale Gewalt. Die Opfer zählt kaum jemand im Riesenreich.

Viele der 100.000 Waisen, die im größten Land der Erde in Kinderheimen untergebracht sind, leben dort unter besorgniserregenden Zuständen. Pflege und Ausbildung sind mangelhaft. Oft ist eine kriminelle Laufbahn vorprogrammiert, legale Alternativen sind rar. Experten weisen auch darauf hin, dass US-Familien überdurchschnittlich häufig behinderte Kinder aufnehmen, die in Russland noch immer oft von der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Gerade solche Waisen würden nun Geiseln eines politischen Streites, monieren Kritiker in Moskau. Von einem Verbot seien aktuell 46 Kinder betroffen, deren Adoption in die USA kurz bevorstand, sagt Astachow.

Reaktion auf USA-Sanktionen

Denn das neue Dokument ist explizit eine Antwort auf den "Magnitsky Act" in den USA, der Sanktionen gegen russische Beamte bei Menschenrechtsverstößen vorsieht. "Das Absurde liegt darin, dass der "Magnitsky Act" auf unsere Beamten zielt, unser Gesetz aber auf kranke Waisen", sagt Galina Michaljowa von der liberalen Partei Jabloko der Zeitung "Nowyje Iswestija".

Das Gesetz gilt nicht zuletzt als weiterer Tiefschlag für die Beziehungen mit den USA. Von dem einst verkündeten "Neustart" ist kaum etwas übrig, das Misstrauen vor allem in Moskau groß. Vorsorglich kündigte Alexej Puschkow, Chef des außenpolitischen Ausschusses der Staatsduma, an, auf jede US-Sanktion gegen Russland zu reagieren. Das Prinzip "Auge um Auge" ist wieder in Kraft.

Fast außer Acht gerät dabei das Schicksal von Sergej Magnitski, dem Namensgeber des US-Gesetzes. Der Anwalt hatte einen gewaltigen Korruptionsskandal im russischen Innenministerium publik gemacht, bevor er unter dubioser Begründung in Moskau in Haft genommen wurde und 2009 qualvoll starb. Sein Tod ist bis heute ungesühnt.