WIEN. Dass es sich beim Salzburger Finanzskandal um keinen Einzelfall handelt, hat sich wohl herumgesprochen. Auch das Land Niederösterreich, Linz oder St. Pölten haben sich nach 2000 auf hochspekulative Finanzgeschäfte eingelassen, die ihnen jetzt auf den Kopf fallen. Die Frage ist allerdings: Sitzen nur eine Handvoll Gemeinden auf toxischen Papieren? Oder ticken allerorten Zeitbomben?

Dass die Lage alles andere als beruhigend ist, hat sich am Donnerstag auf fast beängstigende Weise bewahrheitet. Der Städtebund hatte zu seiner Pressekonferenz über die Finanzgebarung der mehr als 2300 Gemeinden geladen. Sehr anschaulich wurden unter Zuhilfenahme Dutzender Grafiken alle Budgetdetails dargelegt. Auf die Frage, wie vielen Gemeinden hochkomplexe Derivatgeschäfte zum Verhängnis werden können, meinte Peter Biwald, ein ausgewiesener Budgetexperte: "Da muss ich leider kapitulieren." Solche Geschäfte seien weder berichtspflichtig noch werden sie vom Rechnungsabschluss oder einer Finanzstatistik erfasst.

Keine Klarheit

Auch ein Rundruf unter Experten bringt keine Klarheit. Sascha Stadnikow, der von ins Straucheln geratenen Gemeinden als Gutachter engagiert wird, schätzt, dass mehr als 100 Gemeinden auf toxischen Papieren sitzen. Gert Edlinger von der Beratungsagentur HLC geht davon aus, dass die Kommunen "mit rund acht Milliarden Euro in Schieflage geraten" sind. Die meisten Zeitbomben ticken in Niederösterreich, im Burgenland, Oberösterreich und Salzburg. Viele Gemeinden bleiben lieber anonym - in der Hoffnung, dass sich eines Tages doch wieder alles zum Besseren wendet.

Für Schlagzeilen hat Linz gesorgt, das jetzt einen Musterprozess angestrengt hat. In Linz schloss die Stadt zur Absicherung eines auslaufenden Kredits in Höhe von 195 Millionen Franken 2007 mit der Bawag eine Kurs-Zins-Wette ab. Durch den Kursanstieg des Franken stieg der Wert des Swap auf mehrere Hundert Millionen Euro, die zusätzlich zur Kreditschuld zu zahlen sind. Linz zog die Notbremse und klagte die Bawag, die ihrerseits 417 Millionen von der Stadt zurückfordert.

Für Edlinger bestehen keine Zweifel, dass die meisten Gemeinden "von den Banken hinters Licht geführt" worden sind. "In 95 Prozent der Fälle war das Risiko nicht erkennbar." Stadnikow sieht dies differenzierter. Er meint, viele Bürgermeister hätten sich aus einer "Mischung aus Halbwissen und Gier" auf solche Geschäfte eingelassen. Stadnikow geht auch mit den Banken hart ins Gericht: "Gelegentlich hat ein simpler Kursverfall zu den Verlusten geführt. Meistens haben die Banken den Gemeinden bewusst suboptimale Produkte verkauft, um daraus Profit schlagen zu können."

Dass die Bürgermeister das Nachsehen haben, verwundert nicht, so Stadnikow: "In Österreich gibt es 200 bis 300 Leute, die die Swap-Geschäfte durchblicken. Davon sitzen 180 in den Banken."