Die Gegner von Ägyptens Islamisten ereifern sich in Talkshows und bei Straßenprotesten über den Durchmarsch der Islamisten. Die Muslimbrüder selbst und ihre radikalen Verbündeten setzen weiter einen Stein auf den anderen. Dabei greifen die Muslimbrüder immer wieder mit großem Erfolg auf die gleiche Taktik zurück: Sie geben sich erst betont harmlos, laden dann alle zum Dialog ein und ziehen zum Schluss doch knallhart ihr eigenes Ding durch.

"Neue" Taktik

Zum ersten Mal kam diese Taktik zum Einsatz, als die Muslimbrüder vor der Parlamentswahl behaupteten, sie strebten keine Mehrheit an und wollten deshalb auch nicht in allen Wahlkreisen kandidieren. Hinterher stellten sie doch jede Menge Kandidaten auf. Zusammen mit den Salafisten errangen sie mehr als 65 Prozent der Sitze. Als dann die Präsidentschaftswahl nahte, ging das gleiche Spiel wieder von vorne los. Erst erklärten die Muslimbrüder, sie wollten keinen eigenen Kandidaten ins Rennen schicken, dann stellten sie doch Khairat al-Shater auf, den sie später - weil dieser disqualifiziert wurde - durch Mohammed Mursi ersetzten.

Auch der Verfassungsprozess lief nach dem gleichen Muster ab. Die Islamisten sicherten sich über ihre dominierende Stellung im Parlament zwar auch die Mehrheit in der Verfassungsgebenden Versammlung. Sie holten jedoch auch Christen, Frauen, Linke und Liberale ins Boot, um die Ängste der säkularen Kräfte zu zerstreuen. Als der Muslimbruder Mohammed al-Beltagi im Oktober dann den ersten Entwurf für eine neue Verfassung vorstellte, regte sich zwar gleich Protest. Doch Al-Beltagi erklärte damals beschwichtigend, dies sei doch nur ein Vorschlag. Man wolle nun einen ausführlichen Dialog mit allen Interessengruppen führen, deren Vorstellungen dann in das Dokument einfließen sollten.

Dialog sinnlos?

Der Dialog sei sinnlos gewesen, da die Islamisten auf keinen Änderungsvorschlag eingegangen seien, erklärten später die 26 Christen, Liberalen und Linken, die sich schließlich unter Protest aus dem Gremium zurückzogen. Der ganze Prozess sei ein abgekartetes Spiel der Muslimbrüder und Salafisten gewesen mit dem Ziel, Ägypten zu einer "Islamischen Republik" zu machen. "Wir sind für die Einführung der Scharia, und mit diesem Verfassungsentwurf sind wir der Umsetzung des islamischen Rechts in unserer Gesellschaft schon ein gutes Stück vorangekommen", sagte ein Salafist einem Reporter des staatlichen Fernsehens am Rande der Abstimmung der Verfassungsgebenden Versammlung.

Dass die Islamisten die Abstimmung über die Verfassung jetzt so rasch über die Bühne bringen wollten, hat nach Ansicht ihrer Gegner nicht nur mit den jüngsten Protesten gegen Mursi zu tun, sondern auch mit ihrer schwindenden Popularität nach dem Motto: "Lasst uns schnell Pflöcke einschlagen, bevor wir abgewählt werden". Denn einige der jungen Demonstranten, die heute auf dem Tahrir-Platz "Verschwinde, oh Mursi!" rufen, hatten ihn im vergangenen Frühjahr noch gewählt.