Hurrikan "Sandy" hat dafür gesorgt, dass Barack Obama und Mitt Romney ihre minutiös geplante Wahlkampftour über den Haufen warfen. Das Risiko zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, während es an der Ostküste ums Überleben geht, das ist groß. Wer mächtigster Mann der Welt sein will, darf sich beim Krisenmanagement nicht den kleinsten Fehler leisten. Schließlich will keiner die US-Atomwaffen jemand anvertrauen, der die Menschen in ihrer Angst alleine lässt. Naturkatastrophen begünstigen an sich den Amtsinhaber, weil sie ihm automatisch und kostenlos Medienpräsenz verschaffen. Auch sucht die US-amerikanische Öffentlichkeit in der Krise nach Bezugspersonen und Orientierungspunkten. Um das zu werden, kann sich Präsident Obama in Fernsehansprachen an die Nation wenden, sein Herausforderer Romney weniger.

Doch ist das für Obama ein zweischneidiges Schwert. Als Integrations- und Identifikationsfigur musste er rasch Zuversicht und Vertrauen ausstrahlen. Seine schnelle "Wir werden das überstehen!"-Reaktion birgt Gefahren, weil er ohne gesicherten Überblick der Lage womöglich unrichtige Ankündigungen macht. Wer weiß schon, was noch alles durch Sandy passiert? Die Unwahrheit zu sagen, das gilt freilich als Todsünde der Krisenkommunikation. Hinter den Kulissen hat daher Romney durchaus Chancen, den Sturm diskret zu nutzen oder gibt es für Obama zumindest nicht weniger Strategieprobleme:

1. 2004 und 2008 hatten sich über 90 Prozent der Wähler eine Woche vor der Wahl längst festgelegt. Das bedeutet, dass es bloß um spät entschlossene Wechselwähler geht. Romney kann diese eher direkt ansprechen, während sich Obama als Präsident demonstrativ an alle Bürger der USA wenden muss. Für ihn spricht höchstens, dass ein Teil davon gerade jetzt die Stimme vorzeitig abgibt, und er in dieser Gruppe emotional im Vorteil ist.

2. Romney hat seit seinem Sieg in den Vorwahlen kaum zusätzliche Elektorenstimmen ("Wahlmänner") gewonnen. In frühen Prognosen hielt er - resultierend aus wahrscheinlichen Siegen in Einzelstaaten - bei 181, zuletzt waren es 191. Insgesamt braucht man 270 von 538, davon ist er weit entfernt. Doch auch für Obama vermeintlich sichere Staaten gelten inzwischen als offen.

Miami Beach ist jetzt tabu

Infolge von "Sandy" muss der Präsident in Washington sein, und mehr Veranstaltungen etwa im umkämpften Colorado oder Wisconsin absagen. Das Rennen spitzt sich auf eine altbekannte Grundregel zu - man muss in mindestens zwei der drei größeren Schlüsselstaaten Florida, Pennsylvania und Ohio mit in Summe 67 Elektoren vorne sein -, und natürlich sind für beide Kandidaten Bilder aus dem sonnigen Miami Beach absolut tabu. Pennsylvania als Sandy-Katastrophengebiet fällt sowieso aus. In Ohio allerdings mit seinem bunt gemischten Wählermarkt in Groß-, Vor- und Kleinstädten sowie Industriegebieten und ländlichen Regionen, könnte Romney unverdrossen für den Wahlsieg kämpfen, während Reisen dorthin für den amtierenden Präsidenten heikler sind.

Kurios ist das beiderseitige Luxusproblem, dass die Hauptkandidaten bis Ende Oktober jeder rund eine Milliarde(!) US-Dollar plus Dunkelziffer einwarben, und das Wahlkampfgeld nun schlecht verwendbar ist. Klassische Werbespots sind sensibel, wenn der Notstand ausgerufen wurde. Die vorgefertigten Botschaften zur Wirtschaftskrise taugen nun ohnehin nicht mehr.

Obama kann da etwas ruhiger schlafen, weil er über mehr direkte Spenden verfügt, während Romney durch extern übernommene Kosten nahezu gleichzog. Seine Sorge könnte sein, dass politische Aktionskomitees weiter selbstständig für ihren Favoriten Wahlwerbung betreiben und dabei in Anbetracht der Krisensituation nicht vorsichtig genug sind. Ein paar unbedachte Worte aus der ihn unterstützenden Finanzindustrie von Goldman Sachs bis Bank of America würden Romneys Siegesträume zerstören.

"Sandy" beweist, warum die TV-Debatten trotz 100 Millionen Zusehern keine Vorentscheidung der Wahl brachten. Die Umfragespiele ergaben lediglich Daten, wer als besserer Debattenredner beispielsweise über Außenpolitik wahrgenommen wurde, was beim nunmehrigen Ausnahmezustand unwichtig erscheint.

Obama und Romney haben im Wahlkampf monatelang das kleinste Detail vorgeplant - und müssen am Ende sturmbedingt improvisieren. Das macht von einem klaren Sieg Obamas bis zu einem knappen Erfolg Romneys jeden Wahlausgang möglich.