Barack Obama ist plötzlich ganz kleinlaut geworden. "Ich möchte diese Wahl nicht verlieren", schreibt er per E-Mail an seine Anhänger. Dann folgen ein paar Sätze über den Mittelstand, der ihm so sehr am Herzen liegt. "Das Rennen ist sehr knapp", schreibt der US-Präsident weiter. Zum Schluss bittet er um eine Spende von fünf Dollar - es darf auch gerne etwas mehr sein.

Wahl in zwei Wochen

Keine zwei Wochen mehr sind es bis zur Präsidentenwahl in den USA - tief verunsichert ist der Mann im Weißen Haus. Ungläubig verfolgen die Demokraten die Aufholjagd Mitt Romneys. Noch vor Wochen schien der Herausforderer abgeschlagen - zu hölzern, zu konservativ, frohlockte das Obama-Lager. Und dann noch sein Hang zu rhetorischen Ausfällen - keine echte Gefahr für den "mächtigsten Mann der Welt".

Doch dann kam Obamas Ausfall in der ersten TV-Debatte am 3. Oktober. Seitdem hat sich das Blatt gewendet. Scheinbar unaufhaltsam klettern Romneys Umfragewerte in die Höhe. Erstmals liegt der Multimillionär und Ex-Gouverneur vorn.

Ein Zeichen, wie tief gespalten das Land ist

Für den Amtsinhaber sei ein Szenario eingetreten, das er stets vermeiden wollte, kommentiert die "New York Times". Romney sei nunmehr "ein viel formidablerer Gegner, als Obama jemals erwartet hatte". Ein Zeichen auch, wie tief gespalten das Land ist.

Die Internetplattform "Realclearpolitics", die aus den wichtigsten Umfragen einen Durchschnitt errechnet, sieht Romney erstmals vorn. Wenn auch nur mit hauchdünnem Vorsprung von nicht mal einem Prozentpunkt. "Dead heat", nennen das Kommentatoren - totes Rennen.

Droht Pattsituation?

Schon geht unter Experten die Angst um, dass keiner der beiden Kandidaten die notwendigen 270 Wahlmänner gewinnen könnte. Ein Patt wäre ein Alptraum - eine wochenlange, quälende Hängepartie die Folge. In diesem Fall müsste das ebenfalls am 6. November neu gewählte Repräsentantenhaus im Jänner entscheiden - in dem vermutlich Romneys Republikaner wieder das Sagen haben. Ein solches Spektakel habe es bisher nur ein Mal gegeben, berichtet der TV-Sender CNN. Im Jahr 1821.

Hinter vorgehaltener Hand geht bereits ein anderes Horror-Szenario um. Falls das Rennen tatsächlich derart knapp werden sollte, ist nicht ausgeschlossen, dass es in einem US-Staat Klagen gegen das Ergebnis gibt. Ein juristisches Tauziehen wäre die Folge. Erinnerungen an das Gerangel nach der Wahl 2000 werden wach - als es Wochen dauerte, bis letztlich das oberste Gericht Georg W. Bush zum Sieger kürte.

Kampf um die Swing-States

In aller Hektik jetten nun Obama und Romney kreuz und quer durchs Land, um sich in letzter Minute noch den Sieg zu sichern. Obama etwa besucht in zwei Tagen sieben der hart umkämpften Swing-States - das sind die "Wechsel-Staaten", in denen das Rennen traditionell unentschieden ist, in denen Demokraten und Republikaner eine Chance haben. Obamas Zeitplan sei derart knapp, dass er sich nicht mal Zeit nimmt, ins Hotel zu gehen, meldet CNN. Er schlafe in der "Air Force One".

Rund zehn solcher Swing-States gibt es, die wichtigsten sind Ohio, Florida, Wisconsin und Virginia. Schon seit Wochen stellen die Wahlkampf-Teams komplizierte Rechnungen an. Als höchster Preis gilt Ohio, die Faustregel heißt: Ohne Ohio in der Tasche ist der Wahlsieg fast unmöglich. Noch niemals hat ein republikanischer Kandidat ohne Ohio gewonnen. Der letzte Demokrat, der ohne den Mittel-West-Staat ins Weiße Haus einzog, war John F. Kennedy 1960.