MAX EDELBACHER: Wirklich sagen kann das keiner, aber ich persönlich empfinde, dass es gestiegen ist. Die Gier ist hemmungsloser geworden. Andere meinen dagegen, es herrscht jetzt nur größere Transparenz und Sensibilität und deshalb kommt mehr zutage.

Woran liegt es, dass die Gier gewachsen ist? Weil größere Summen im Spiel sind?

EDELBACHER: Die Hemmschwelle ist immer eine gewisse Ethik und Moral. Die Erziehung und die Weitergabe von Werten durch die Familie, diese Strenge und Bindung an Regeln ist aber abgeschwächt worden. Mir - ich bin Jahrgang 1944 - hätte mein Vater beide Hax'n abgehaut, wenn ich ein "Gfrastsackl" geworden wäre. Heute gibt es eine stärkere Tendenz hin zu materiellen Werten. Durch die Konsumwirtschaft wird vorgegaukelt, dass jeder alles leicht haben kann.

Orten Sie in der Politik eine noch massivere moralische Verwahrlosung?

EDELBACHER: Korruption zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Zweiten Republik. Es hat sie in der früheren Großen Koalition auch gegeben. Später, unter der schwarz-blauen Wenderegierung hat es sich aber stärker polarisiert. Denn es war Absicht, so viel wie möglich so rasch wie möglich umzustrukturieren und dabei noch einzusparen. Im Hinterkopf war aber natürlich auch der Wunsch, die rein persönlichen Machtstrukturen zu seinen Gunsten zu ändern - das hat den Missbrauch beflügelt. So gab es durch die Änderung des politischen Systems sicher eine Begünstigung dieser Tendenz.

Sie wurden nach Ihrer Kritik an der Polizeireform 2002 vom damaligen Innenminister Ernst Strasser als Leiter des Sicherheitsbüros abberufen. Sehen Sie sich als Opfer von Schwarz-Blau?

EDELBACHER: Ja und nein. Man muss selbstkritisch sein. Wenn man seinen Chef in der freien Wirtschaft kritisiert, kostet einen das unter Umständen den Job. Ich war als Sicherheitschef vorlaut und habe den Innenminister kritisiert - und bin halt auf eine unwichtige Position versetzt worden. Das ist die typisch österreichische Vorgangsweise: Man entsorgt jemanden und schiebt ihn auf ein totes Gleis.

In Ihrem Fall hieß die Remise "Aufbaustab des Bundeskriminalamts". Sie mussten dort eine Arbeit zum Thema "Prävention von Korruption" schreiben. Wenn man das spätere Schicksal Ihres damaligen Chefs Ernst Strasser (Anklage wegen Bestechlichkeit) kennt, klingt das fast wie Hohn.

EDELBACHER: Hätte er das Papier gelesen, wäre es ihm vielleicht nicht passiert.

Verspürt man da so etwas wie späte Genugtuung?

EDELBACHER: Als ich die Schwierigkeiten Strassers mitbekommen habe, habe ich mit meiner Frau eine Flasche Rotwein geöffnet und heftig angestoßen. Traurig war ich nicht.

Strasser hat sich selbst als Lobbyist bezeichnet und der Branche einen "special smell" - einen besonderen Geruch - zugeschrieben. Um klarere Spielregeln für Lobbying zu bekommen, wurde zuletzt ein Transparenzgesetz beschlossen. Reicht das?

EDELBACHER: Nein, es fehlt der volle politische Wille, weil zwar die Parteien zu Verantwortung gezogen werden, aber Minister wieder ausgenommen sind. Man eiert immer so herum und macht nicht Nägel mit Köpfen.

Bleibt unter diesen Voraussetzungen Lobbyismus der Kindergarten der Korruption?

EDELBACHER: Wahrscheinlich schon. Und sie wird vor allem dort, wo es um lukrative Aufträge und Verträge geht, schwer einzudämmen sein.

Ist das Strafrecht ein adäquates Mittel, um gegen die Wirtschaftskriminalität anzukämpfen?

EDELBACHER: Nein. Es kann steuernd wirken, wird aber nicht das Gelbe vom Ei bringen.

Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass Karl-Heinz Grasser jemals verurteilt wird?

EDELBACHER: Es sieht derzeit eher so aus, als würde es wie bei Al Capone sein: Wenn er verurteilt wird, dann eher wegen Nichtbezahlung der Steuern als wegen der Untreue-Vorwürfe. Im Wirtschaftsstrafrecht muss man ja den persönlichen bösen Willen nachweisen, während im Steuerstrafrecht die objektive Tatsache genügt. Das wird wahrscheinlicher sein, dann könnte es ihn erwischen - sofern es nicht politische Interventionen gibt . . .

Gibt's die?

EDELBACHER: Ich könnte es mir vorstellen, dass es welche gibt.

Warum schaffen es die "großen Fische" immer wieder, aus den Fangnetzen der Ermittler herauszuzappeln?

EDELBACHER: Das ist für jeden Menschen mit einem demokratischen Grundverständnis nicht zu verstehen. Darum ist auch der Wunsch nach Veränderung so groß, weil man einfach nicht mehr damit umgehen will. Es gibt eine tiefe innere Unruhe und ein großes Reformbedürfnis. Und ich verstehe es.

Sind Sie selbst ein Wutbürger?

EDELBACHER: Ja, ich versuche es.

Glauben Sie, dass noch andere Namen auftauchen, die "part of the game" sind?

EDELBACHER: Ich glaube schon. Das ist in Österreich systemimmanent. Man sagt nicht umsonst, der Balkan beginnt im Süden Wiens.

Kann man den Kampf gegen die Korruption überhaupt gewinnen? In einer aktuellen Umfrage geben elf Prozent der Österreicher an, dass von ihnen im letzten Jahr Bestechung erwartet oder sogar offen verlangt wurde.

EDELBACHER: Natürlich wird man das Böse nie ausrotten können.

Aber es muss ein ständiges Bemühen bleiben. Wenn man einfach die Hände in den Schoß legt und aufgibt, ist das falsch. Wir sind ja auch ein Vorbild für die folgende Generation. Auch ein Erfolg von nur einem Prozent ist besser, als gar nichts zu tun.

Was auffällt, ist, dass in den Korruptionsgeflechten sehr selten bis nie Frauen mit dabei sind.

EDELBACHER: Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Frauen weniger korruptionsanfällig sind.

Ist das so, weil sie auch seltener in entsprechende Machtpositionen vorrücken oder weil die Männer häufiger ein gestörtes Selbstwertgefühl haben und sich über Materialismus und Macht definieren müssen?

EDELBACHER: Das große Auto, der schöne Anzug, Geld ausgeben, protzen: Das ist schon noch immer eine männliche Schwäche. Vielleicht ändert sich das. Die Gesellschaft ist ja im Wandel. Frauen verkörpern in der Regel generell mehr Hausverstand. Männer sind extremer, riskieren mehr und sind dadurch forscher.

Müssen für Polizisten höhere ethische Ansprüche gelten?

EDELBACHER: Wenn man es visionär nimmt, sollten sie einen höheren Anspruch anstreben und leben. In der Realität ist die Polizei aber ein Spiegelbild der Gesellschaft. Ist also die Gesellschaft korrupt, dann werden auch die Polizisten korrupt sein. Als ich Chef des Sicherheitsbüros geworden bin, gab es auch viele Verführungssituationen. Da muss man innerlich gefestigt sein und reflektieren, dass einem das verfängliche Angebot nicht gemacht wurde, weil man so fesch und gescheit ist, sondern wegen der Position, die man hat. Sonst passiert's. Nur: Eine geringere Anfälligkeit schützt auch die Polizei. Denn wenn man leichter korrumpierbar ist, werden auch die Drohungen ernster.

Hatten Sie bei Ihren Ermittlungen oft Angst?

EDELBACHER: Selten. Es hat zwar Drohungen gegeben. Beispielsweise wurde bei meinem Vater - weil er den gleichen Vornamen hat - angerufen und gewarnt: "I drah' di ham!" Einmal hat es im Zuge von Ermittlungen auch eine Autobombe unter einem Dienstfahrzeug gegeben. Die ist aber Gott sei Dank nicht in die Höhe gegangen.

INTERVIEW: KLAUS HÖFLER