Chris Christie, republikanischer Gouverneur des US-Bundesstaats New Jersey, versuchte sich an einer Prophezeiung. Am kommenden Donnerstag, sagte der Konservative, "werdet ihr euch alle am Kopf kratzen und sagen: Wow, wir haben da einen echten Knüller." Denn am Morgen nach der ersten TV-Debatte mit US-Präsident Barack Obama werde es für seinen republikanischen Herausforderer Mitt Romney ganz anders aussehen als heute. Romney werde neuen Schwung für die letzten Wochen bis zur Wahl am 6. November erhalten.

Wenn sich Christie da nur nicht täuscht. Zwar versuchen die meisten US-Medien, vor dem TV-Ereignis Mittwochabend in der Universität von Denver (Colorado) die Erwartungen nach oben zu schrauben. Doch ein Blick in die Geschichte der Fernsehdebatten, die seit 1960 veranstaltet werden, zeigt: Es ist nicht unmöglich, doch die meisten Kandidaten um den Posten im Weißen Haus in Washington schafften es trotz guter Auftritte im Fernsehen nicht mehr, einen Umfragerückstand aufzuholen.

Ausnahmen waren John F. Kennedy, der 1960 nach der Diskussion einen Vier-Punkte-Vorsprung auf Richard Nixon hatte und schließlich zum Präsidenten gewählt wurde, und George W. Bush, dessen Kontrahent Al Gore im Jahr 2000 einen Umfragevorsprung durch ungeschicktes Debattieren vor laufender Kamera verspielte.

Romney hat das Problem, dass er derzeit in nahezu allen Meinungsbefragungen hinter Obama zurückliegt. Nicht nur auf nationaler Ebene sehen die Forschungsinstitute den Amtsinhaber vorn. Wichtiger ist: Die US-Wahl entscheidet sich traditionell in den sogenannten Swing States, deren Wählerinnen und Wähler nicht festgelegt sind. Dazu gehören die bevölkerungsreichen Bundesstaaten Florida, Ohio und Virginia, in denen Obama in den Wochen seit dem demokratischen Parteitag Anfang September die Führung vor Romney übernommen hat.

Beide Wahlkampfteams wissen um die Geschichte der Debatte und ihre Auswirkungen auf die Kandidaten. Umso wichtiger ist die Vorbereitung auf das TV-Spektakel, damit am Abend keine Aussetzer passieren. Auch hier hat Obama einen leichten Vorteil. Er wird vom demokratischen Senator John Kerry in einem Hotel in Nevada trainiert. Kerry dürfte mehrfach seine Geschichte aus dem Jahr 2004 erzählen.

Romney hat mehr Zeit

Der damalige Bush-Herausforderer versuchte während der Debatte, den Amtsinhaber wegen dessen Kriegs gegen den Irak zu attackieren. Am Ende der Debatte waren sich die Beobachter einig: Der Sieger hieß Kerry. Der Wahlgewinner aber hieß wenige Wochen später Bush.

Im Gegensatz zum amtierenden Präsidenten hat Romney mehr Zeit, weil er das Tagesgeschäft im Weißen Haus nicht zu erledigen hat. Er muss, um die 90 Minuten lange Debatte erfolgreich zu überstehen, ein Millionenpublikum davon überzeugen, dass er nicht der abgehobene Multimillionär ist, dem die Nöte und Sorgen der US-Mittelschicht völlig fremd sind. Nach Bekanntwerden eines Videos von einem Wahlkampfauftritt, bei dem Romney knapp die Hälfte der Amerikaner als Schmarotzer bezeichnet hat, die ihr Leben nicht selbst in die Hand nehmen wollen, dürfte das eine anspruchsvolle Aufgabe werden.

Romney selbst äußerte sich in den letzten Tagen kaum zur Debatte. Offenbar wollte er die Erwartungen an ihn selbst nicht zu hochschrauben. Das erledigte schon Gouverneur Christie. Und auch Obama gab sich bescheiden. Zuletzt sagte er, Romney sei ein guter Debattierer: "Ich bin da nur o. k." Das war ungewöhnlich für einen Politiker, dessen Wille zu siegen bekannt ist. Aber Understatement gehört zur Einstimmung auf die TV-Debatte.