Auf dem Parteitag der US-Demokraten in Charlotte im US-Bundesstaat North Carolina hat Obama am späten Donnerstagabend die amerikanischen Wählerinnen und Wähler um mehr Zeit gebeten, um das Land aus der Krise zu führen. "Die Wahrheit ist, dass wir mehr als einige wenige Jahren brauchen werden, um die Herausforderungen zu bewältigen, die sich über Jahrzehnte aufgebaut haben", sagte der 51jährige Obama vor etwa 25.000 Menschen in der Time Warner Cable Arena von Charlotte: "Ich werde nicht so tun, als sei der Weg, den ich anbiete, schnell oder einfach zu begehen ist." Aber es sei zu schaffen, so Obama: "Unsere Probleme können gelöst werden."

Raus aus dem Umfragetief

Mit seiner Abkehr von den vergleichsweise hochtrabend wirkenden Vorstellungen aus dem Wahljahr 2008 will sich Obama aus dem Umfragetief befreien, das seine Wiederwahl am 6. November ernsthaft gefährdet. Obama und sein republikanischer Herausforderer Mitt Romney liefern sich derzeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen, das Prognosen über den Wahlausgang unmöglich macht. Die Republikaner machen Obama für die Arbeitslosenzahl von 23 Millionen, für den schleppend verlaufenden Wirtschaftsaufschwung und für die Rekordverschuldung des Staates in Höhe von mehr als 16 Billionen US-Dollar verantwortlich.

Während seines Auftritts in Charlotte versuchte Obama, die Wahl am 6. November als eine Entscheidung zu stilisieren, die das Schicksal von mindestens einer Generation von Amerikanerinnen und Amerikanern bestimmen werde. "In den nächsten Jahren werden wichtige Entscheidungen in Washington fallen", sagte Obama. Es gehe um Arbeitsplätze und die Wirtschaft, um Steuern und Schulden, um Energieversorgung und Bildung, um Krieg und Frieden. Die Wählerinnen und Wähler, sagte Obama, hätten in diesem Jahr aber im Gegensatz zu früheren Jahren nicht nur die Auswahl zwischen zwei Kandidaten zu treffen, sondern "zwischen zwei fundamental unterschiedlichen Vorstellungen von der Zukunft". Im Gegensatz zu Obama hat der republikanische Bewerber Romney den Amerikanern versprochen, den Einfluss des Staates auf ihr Leben radikal zu verringern. Obama sagte unter dem Jubel seiner Anhänger: "Unser Weg ist vielleicht härter, aber er führt an einen besseren Ort." Er bitte die Wählerinnen und Wähler, sich für die Zukunft zu entscheiden, die er anbiete, sagte der erste schwarze Präsident der USA. Ohne einen ausreichend ausgestatteten Staat und ohne gemeinschaftliches Handeln werde es keinen Fortschritt in Amerika geben.

Verwegene und beharrliche Experimente

Dabei nahm Obama Anleihen beim früheren US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, der in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhundert die sogenannte Große Depression mit einer staatlich finanzierten Reformpolitik erfolgreich bekämpft hatte. Die Lösung der aktuellen US-Probleme werde "die gleiche Art verwegener und beharrlicher Experimente" erfordern, sagte Obama.

Pragmatisch und im Vergleich zu Romney bescheiden machten sich die konkreten Ziele aus, die Obama für seine zweite Amtszeit formulierte. Durch Einsparungen soll das Haushaltsdefizit um vier Billionen Dollar verringert werden. Obama versprach die Schaffung von einer Million neuen Arbeitsplätzen in der verarbeitenden Industrie bis 2016. Romney dagegen hatte vor einer Woche auf dem Republikaner-Parteitag in Tampa/Florida angekündigt, zwölf Millionen Arbeitsplätze schaffen zu wollen. Obama kündigte an, die US-Exporte bis Ende 2014 zu verdoppeln und die Energie-Importe bis 2020 zu halbieren. Romney dagegen hatte in Tampa versprochen, die USA bis 2020 vollständig von der Energie-Einfuhr aus dem Ausland unabhängig machen zu wollen.

Zudem sagte Obama zu, den Anstieg der Studiengebühren zu verlangsamen und im Verlauf der nächsten zehn Jahre insgesamt 100 000 neue Lehrer für Mathematik und Naturwissenschaft einzustellen. Das Geld, das die USA bislang in Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan ausgegeben haben, soll in die marode Infrastruktur des Landes fließen.

45 Minuten dauerte die kämpferische Rede Obamas am Donnerstagabend. In ersten Reaktionen wurde sie von Kommentatoren positiv bewertet. Mit Spannung wurde zudem die neuen Arbeitsmarktzahlen für den Monat August erwartet. Diese sollen in wenigen Stunden veröffentlicht werden. Wenn sie gut oder zumindest nicht schlecht ausfallen, dann könnte Obama am Ende des Parteitags der US-Demokraten seine Chancen verbessert haben, eine zweite Amtszeit im Weißen Haus zu bekommen.