Die jüngsten Personalspekulationen sind nur die Spitze eines Eisbergs von Problemen. Offenbar hat Michael Spindelegger als Parteichef personell nur den Spielraum der Quadratwurzel aus Länderinteressen dividiert durch Bündelogik. Also keinen.

Unabhängig davon wird die ÖVP seit den nationalen Skandalen rund um Ernst Strasser und Co und regionale Rücktritte - Josef Martinz in Kärnten wegen Untreue und illegaler Parteienfinanzierung - als auf dem absteigenden Ast beschrieben. Dasselbe geschah, nachdem Josef Pröll krankheitsbedingt ausfiel und das Parteizepter an Spindelegger übergab. Letzteres war unverschuldet, in den erstgenannten Fällen ist ohne Bedauern ein "Selber schuld!" angebracht.

Beim Amtsantritt Spindeleggers wurde ein Absturz auf knapp über 20 Prozent der Wählerstimmen prophezeit - das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Zweiten Republik. Vor 10 Jahren bekam man 42 Prozent der Stimmen, heute ist die Hälfte zu erwarten. Der Grund dafür ist ein nahezu unlösbares Strategieproblem: Jene Bevölkerungsgruppe, wo es am ehesten Stimmen zu gewinnen gibt, das sind enttäuschte Bürgerliche. Es geht um in der Privatwirtschaft beschäftigte Personen und deren Familien, die den oft zitierten Mittelstand bilden. Wie jedoch soll eine seit 1986 ohne Unterbrechung regierende Partei ausgerechnet Protestwähler ansprechen?

Ideologisch gesehen handelt es sich um Mitte-rechts-Wähler. Dort ist die Konkurrenz mit FPÖ und BZÖ plus Frank Stronach und Piraten am allergrößten. Bei ihrem Katastrophenergebnis in der Wiener Landtagswahl 2010 etwa haben die Schwarzen sechs- bzw. neunmal mehr (!) an die Blauen verloren als an Rot oder Grün. Im vor- und kleinstädtischen Bereich sind freilich sogar die Grünen fast ein bürgerlicher Verein und hätten Luft nach oben, wohin konservative ÖVP-Wähler wandern könnten.

Also sieht kein Journalist den sachlich seriösen und integren Michael Spindelegger als möglichen Sieger, sondern bestenfalls in der Rolle eines Verwalters von Verlusten. Er selbst macht auch nicht den Eindruck, an Überraschungssiege zu glauben. Anders als bei Josef Pröll findet in der SPÖ ein Händereiben statt, weil es keinen koalitionsinternen Kanzlerkonkurrenten gibt.

Irgendwie dabei

Welches Wahlziel will die arg gebeutelte ÖVP bei der Wahl 2013 kommunizieren? Vom ersten Platz zu faseln und bei einem inszenierten Duell zwischen Werner Faymann und Heinz-Christian Strache als Dritter aufzuzeigen, das könnte an Lächerlichkeit grenzen. Die Wahrheit sagen, dass "der ÖVP jedes Ergebnis recht ist, solange wir nur irgendwie in der Regierung bleiben", geht noch weniger. Da bleibt nur die Hoffnung auf einen "Underdog"-Effekt: sozusagen als Außenseiter, der aufgrund der niedrigen Erwartungen nur positiv überraschen kann.

Wofür man sich in einem Kampfbüchlein entschieden hat, ist das rot-grüne Feindbild. Parteiintern führt es zu Mobilisierungseffekten, wenn man Bürgermeistern aus dem Bauernbund klarmacht, dass sie sich künftig beim grünen Landwirtschaftsminister um Förderungen anstellen müssten. Dasselbe gilt für Wirtschaftsbündler und einen durch die Gewerkschaftsschule gegangenen Finanzminister.

Doch leben in Österreich relativ wenige Bauern und Unternehmer. Zahlenmäßig ist die Konzentration auf SPÖ und Grüne daher Unsinn. Die ÖVP hat genug Wähler verloren, doch nur rund zwei Prozent verirrten sich zu Faymann. Angesichts von Stronach und Konsorten könnte Anti-Rot-Grün zur Taktik werden, mit der man Funktionäre befriedigt, aber Wähler vertreibt.

Vor allem jedoch muss die ÖVP eine banale Frage beantworten: Was ist das konkrete Angebot Spindeleggers für den Mittelstand? Angstvolle Gutverdiener mögen froh sein, dass die ÖVP gegen Erbschafts- und Schenkungssteuer ist, doch zieht das SPÖ-Getöse vom Schröpfen der Reichen um Klassen besser. Mittelständler nehmen den Vizekanzler eher durch mühsame Kompromisse in der Regierung wahr. Als Außen- und Europaminister ist es undankbar zu erklären, warum so viel Geld nach Griechenland geht.

Als Ablenkungsmanöver von Skandalen hat die ÖVP ein theoretisches Konzept für mehr Direktdemokratie verfasst. Im Wehrpflichtfall wurde von Spindelegger gerade die Kurve zur praktischen Anwendung gekratzt. Nach Zurufen aus Niederösterreich. Nur in Graz bestimmte man mit einer Volksbefragung über die Umweltzone das Aktion-Reaktion-Schema. In Wien war das Verlangen einer solchen zur Parkraumbewirtschaftung der beste Einfall der lokalen ÖVP seit Jahrzehnten. So lange hatte sie nämlich gar keine Idee.

Wirtschaften

Doch ein Pickerl für das Abstellen von Autos macht keinen Sommer, und wie soll Spindelegger Wahlen gewinnen, wenn seine Wiener Stadtpartei daniederliegt und zuletzt von kaum über 100.000 der 1,1 Millionen hauptstädtischen Wahlberechtigten angekreuzt wurde?

Bleibt das Thema Wirtschaft. Theoretisch müsste die ÖVP, der dabei traditionell die größte Kompetenz zugeschrieben wird, in Zeiten der Krise punkten können. Doch hier schließt sich der Kreis zum Anfangssatz: Es macht sich nicht gut, wenn von Ernst Strasser bis Josef Martinz ÖVP-Politiker ihr ökonomisches Talent durch die Bereitschaft zum Wirtschaften in die eigene (Partei-)Tasche nachgewiesen haben.