Es war am Mittwoch um 11.15 Uhr Ortszeit, als Nordkoreas Nachrichtenagentur KCNA meldete, in 45 Minuten werde eine "besondere Ankündigung" erfolgen. Im nordöstlichen Asien stieg das Fieberthermometer. Schließlich hatte es die letzte "besondere" Ankündigung 2011 gegeben, als Diktator Kim Jong-il gestorben war.

Nun erwartete man den überraschenden Tod von Jungführer Kim, oder zumindest seinen Sturz. Punkt 12 Uhr war dann aber klar, dass in Nordkorea ein Coup erfolgt war, ein Handstreich der besonderen Art, der dem Kommunisten zu mehr Stabilität verhelfen dürfte und Hoffnung auf Wandel gibt.

Nordkoreas dynastischer, junger Führer Kim Jong-un, der im Dezember des Vorjahres nach dem Tod seines Vaters die Macht übernahm, hat durch geschicktes Manövrieren die Armee überlistet und sich selber an deren Spitze setzen lassen.

Der noch nicht 30-jährige Führer des Eremitenreichs, der selber nie Soldat war, wurde zum Marschall der Streitkräfte ernannt. Damit steht er sechs Vizemarschällen vor. Bereits am Sonntag war überraschend Militärführer und Hardliner Ri Yong-ho abgesetzt worden, ein treuer Loyalist der alten Garde, der Mentor des jungen Kim war.

Die Machtrochade deutet darauf hin, dass der angeblich in der Schweiz ausgebildete Kim'sche Spross selbst die Führung des mächtigen Militärs übernehmen will und gibt zu erkennen, dass Kim die "Armee-zuerst-Doktrin" seines Vaters auszuhebeln versucht. Noch vor wenigen Tagen hielt ihn die ganze Welt für eine Marionette der Generäle. Innerhalb von drei Tagen ließ er die Armeespitze umkrempeln.

Kim dürfte der jüngste Herrscher sein, der je ein Kommunistenregime anführte. Binnen eines Jahres ist der bis dahin Unbekannte zum nominellen Führer der Streitkräfte und regierenden Arbeiterpartei aufgestiegen. Das eröffnet die Möglichkeit von Wandel in Nordkoreas Außenpolitik, die bislang Sache der Militärs war, die sich bis jetzt keinen Deut um das Ansehen des Landes in der Welt scherten, sondern mittels waghalsiger Drohpolitik Nordkoreas Nachbarn und den Westen zu erpressen versuchten.

Kim könnte die ersten Weichen stellen, dass nicht länger eine Armee im Mittelpunkt der Politik steht, die Unsummen verschlingt, während das Volk in krimineller Armut gehalten wird und hungert. Zwar bleibt rascher Wandel frommes Wunschdenken, doch einher mit zaghaften Reformen konsolidiert Kim Schritt für Schritt seine Macht.

Schon sprechen Beobachter von einem Generationswechsel in Nordkorea und erwarten, dass in den kommenden Wochen die Köpfe weiterer Altkader rollen.

Mickey Mouse und Minirock

Vor ein paar Wochen begann Kim eine Charmeoffensive. Er klatschte einer Tanzgruppe in Miniröcken Beifall, die amerikanische Trivialkultur mit Comicfiguren wie Mickey Mouse zum Besten gab. Das staatliche Fernsehen zensierte sogar den Teil der Show mit der Filmmusik von "Rocky" nicht, wobei ein aufgepumpter Sylvester Stallone auf der Bühne als Held gefeiert wurde im Kampf gegen das Böse.

Erstaunliches geht in Nordkorea vor. Was vor ein paar Jahren mit der sachten Öffnung der Grenzen für chinesische Importe sowie der Duldung von freien Bauernmärkten begann, hat mittlerweile eine völlige Eigendynamik entwickelt. Die Provinzen bleiben bitterarm und vergessen, doch Reisende sprechen von einem kleineren Wirtschaftsboom in der Hauptstadt Pjöngjang mit Verkehr, Burger-Restaurants und ersten schicken Läden.

Politisch bleibt das Eremitenreich ein schwarzes Loch. Und so stürzen sich die Beobachter auf noch so kleine Details - etwa die gängige Mode, die Hinweise darauf geben soll, in welche Richtung der neue "Große Führer" sein Land führt. So brüten Analysten über Bildern von Frauen in Pjöngjang, deren Röcke kürzer und Absätze der Pumps höher geworden sind. Dies lasse auf eine leichte Öffnung schließen, war westliche Kleidung doch jahrelang verpönt. Nordkoreaner geben sich neuerdings modischer, heißt es. Männer tragen Gel in den Haaren und im Fernsehen sind junge Frauen in erstaunlich kurzen Miniröcken zu sehen. Waren Pjöngjangs riesige Boulevards vor wenigen Jahren noch einsam, herrscht neuerdings manchmal auch Stoßzeit.

Das bizarre Stalinistenregime ist in einer besseren Verfassung, als der Westen glaubt. Jungführer Kim, der stets lächelt, zeigte sich unlängst mit einer hübschen Unbekannten in der Öffentlichkeit, die sich wie eine First Lady benimmt, obwohl nicht einmal ihr Name bekannt ist. Noch Kims 2004 verstorbene Mutter, die in Japan geboren worden war, hatte dem Regime als Peinlichkeit gegolten, die unter Strafe verschwiegen gehörte, weil sie als nicht reine Koreanerin der untersten Klasse angehörte.

Der junge Kim hält offenbar wenig von der Ideologie der alten Elite. Sein Regime will das Image eines jungen Führers fördern, der ein stabiler, reifer Mann ist, der mit dem Applaus für Disney-Figuren zu erkennen gab, dass er selbst Elemente einer "feindlichen" Kultur schätzen kann. Sein Vater dürfte sich bei diesem Gedanken im Grab umdrehen.

Ein einziger Gulag

Und trotzdem: Nordkorea ist und bleibt ein erschöpftes und höchst repressives Land, wo Ideologie weiterhin über allem steht. Das Land ist ein einziger, riesiger Gulag mit riesigen Straf- und Umerziehungslagern. Standrechtliche Hinrichtungen sind an der Tagesordnung, die Provinzen haben weder Essen noch Strom.

Bei meiner letzten Reise nach Nordkorea, auf der Fahrt von Pjöngjang an die Demarkationslinie, hausten Menschen wie Tiere im bitterkalten Winter. Häuser hatten weder Heizungen noch Glasscheiben. Plastikfetzen hingen von Fensterrahmen, durch die eiskalter Wind fegte.