Das Finale in Kiew naht. Am Sonntag steht der neue Fußball-Europameister fest. Doch nicht nur für Spieler und Fans beginnt eine Woche der Wahrheit. Auch Julia Timoschenko blickt einer Art Endspiel entgegen - inklusive Verlängerung.

Während der EM-Ball ruht, sollen am Montag und am Dienstag zwei Prozesse gegen die inhaftierte Oppositionsführerin fortgesetzt werden. Es geht um das persönliche Schicksal der 51-Jährigen, die nach einem Bandscheibenvorfall mit starken Schmerzen in einem Krankenhaus in Charkiw liegt. Mehr noch geht es allerdings um die Zukunft der Ukraine. "Dieses Land darf nicht zu einem Außenseiter-Staat in Europa werden, dazu ist es zu wichtig", sagt EU-Parlamentspräsident Martin Schulz.

Steuerhinterziehung

Schulz unterstreicht damit die Bedeutung der Verfahren, deren Dauer und Ausgang noch völlig offen sind. In Charkiw verhandelt ein Bezirksgericht am Montag über den Vorwurf der Steuerhinterziehung in großem Stil. Umgerechnet 300 Millionen Euro soll die einstige "Gasprinzessin" in den 90er-Jahren am Fiskus vorbei verdient haben.

Endspiel-Charakter trägt aber vor allem der zweite Timoschenko-Prozess dieser Woche. Am Dienstag verhandelt ein Kassationsgericht in Kiew in letzter Instanz über jenes Urteil vom vergangenen Oktober, das die EU als "offenen Akt einer Rachejustiz" kritisiert. Die Erzrivalin des autoritär regierenden Präsidenten Viktor Janukowitsch soll als Regierungschefin im Jahr 2009 ihr Amt missbraucht haben. Sie unterzeichnete damals einen Gasvertrag mit Russland, der für die Ukraine ungünstig ist. Sieben Jahre Haft, lautete der Schuldspruch.

13 Jahre Haft drohen

Beide Verfahren hängen zwar nicht juristisch, aber faktisch eng miteinander zusammen. Selbst wenn Timoschenko im Kiewer Berufungsverfahren freigesprochen würde, könnte das Urteil in Charkiw sie noch härter treffen. 13 Jahre Gefängnis drohen ihr dort. Viel spricht deshalb für ein taktisches Spiel des Präsidenten. Es ist ein offenes Geheimnis in der Ukraine, dass Janukowitsch die Justiz im Land lenkt.

Timoschenkos Verteidiger Sergei Wlasenko weist alle Vorwürfe gegen seine Mandantin als "völlig absurd" zurück. Sein Team glaubt auch nicht daran, dass der Fall noch während der EM eine spektakuläre Wendung nimmt. "Es sind derzeit zu viele Augen auf die Ukraine gerichtet." Vier Augen schauen besonders scharf hin. Der ehemalige polnische Präsident Alexander Kwasniewski und der frühere EU-Parlamentspräsident Pat Cox sind als Prozessbeobachter zugelassen. So hat es der spätere Nachfolger des Iren, Martin Schulz, mit der ukrainischen Regierung vereinbart.

Auf Eis gelegt

"Wir wollen die Beziehungen zwischen der EU und der Ukraine verbessern", erklärt Schulz. Brüssel hat ein Assoziierungsabkommen mit Kiew wegen des Falls Timoschenko auf Eis gelegt. Auch um diesen Vertrag geht es hinter den Kulissen der Gerichtssäle. Schulz sagt: "Wir stehen erst am Anfang der Mission." Es ist also wahrscheinlich, dass das Endspiel um Timoschenko in die Verlängerung geht.

Wie die Prozesse am Montag und am Dienstag ablaufen, ist unklar. Das Gericht in Charkiw hatte verlangt, dass die erkrankte Angeklagte an der Verhandlung teilnimmt. Der Berliner Charité-Chefarzt Karl Max Einhäupl, der Timoschenko seit dem Frühjahr gemeinsam mit einigen Kollegen betreut, hält das für keine gute Idee. Einhäupl, der seine Patientin am Samstag erneut besucht hat, sagt: "Dadurch würden die Therapieerfolge der vergangenen Wochen zunichtegemacht." Am Sonntag entschieden die ukrainischen Justizbehörden, Timoschenko nicht zur Teilnahme am Prozess zu zwingen.