H err Bundespräsident, Sie haben sich skeptisch zu Vorschlägen für mehr direkte Demokratie geäußert . . .

FISCHER: Ich wiederhole, dass ich nicht grundsätzlich gegen direkte Demokratie bin, sondern nur gegen bestimmte Vorschläge. Wir nutzen in Österreich die Möglichkeiten, die uns die Verfassung gibt, zu wenig. Wer hat die österreichische Politik daran gehindert, das Bildungsvolksbegehren in seiner Substanz voll auszuschöpfen? Ich habe mich nur gegen die Kurzschließung von Volksbegehren und Volksabstimmung ausgesprochen, weil da das Parlament in der Entscheidungsfindung überspielt werden kann. Damit geht viel von demokratischem Pluralismus verloren. Es gäbe dann zwei Gesetzgeber: den parlamentarischen und den Volksgesetzgeber.

Würden sie so ein Reformgesetz unterschreiben?

FISCHER: Wenn es verfassungsmäßig zustande gekommen ist, würde ich es unterschreiben, weil das meine Pflicht ist. Aber ich sage noch einmal: Jeder, der sich mit der Materie auseinandersetzt, sieht, dass sich da nicht nur ein älterer Herr in der Hofburg Sorgen macht, sondern auch so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Khol, van der Bellen, Korinek und viele andere.

Deutschlands Präsident Joachim Gauck hat seine Zustimmung zum Euro-Rettungsschirm ESM verweigert. Erwägen Sie das auch?

FISCHER: In Deutschland kann der Verfassungsgerichtshof Gesetze prüfen, bevor der Präsident sie unterschreibt. In Österreich ist die Unterschrift des Bundespräsidenten die Voraussetzung für die Prüfung des Verfassungsgerichts. Aber ich werde nur unterschreiben, wenn es verfassungsmäßig zustande gekommen ist.

Über mehr direkte Demokratie müsste eine Volksabstimmung stattfinden?

FISCHER: Wenn damit eine Ausschaltung des Parlamentarismus verbunden sein kann, dann ja. Bei anderen Änderungen nicht.

Was sagen Sie zur Übertragung von Kompetenzen an Brüssel, etwa bei der Steuergesetzgebung?

FISCHER: Auch das hängt vom konkreten Einzelfall ab. Aber wenn man an der Euro-Zone festhalten will, müssen wir gewisse Prinzipien stärker verankern. Ein Staat, der nicht in der Lage ist, seine strukturellen Defizite in Grenzen zu halten, darf sich nicht nach Belieben verschulden. Da sollte eine europäische Institution ein Mitspracherecht haben.

Das engt die Souveränität ein.

FISCHER: Richtig. Aber umgekehrt haben dafür Vertreter der EU, also auch Österreichs, Mitspracherechte in anderen Ländern und das gibt uns allen mehr Sicherheit. Kompetenzen werden ja nicht an China abgetreten oder an die Vereinigten Staaten. Wenn man will, dass die Euro-Zone verlässlich funktioniert, müssen gewisse gemeinsam erarbeitete Grundprinzipien eingehalten und durchgesetzt werden. Das bedeutet eine gewisse Einschränkung nationaler Befugnisse.

Populär ist das nicht.

FISCHER: Durch Einzelplebiszite in vielen Staaten wird sich das vermutlich schwerer durchsetzen lassen als durch die Zustimmung von Regierungen und Parlamenten, obwohl es logisch erscheint: Stabilität erfordert Einhaltung von Spielregeln.

Wird Europa ein Bundesstaat?

FISCHER: Das ist noch nicht absehbar. Aber ich will weder Grenzen setzen noch etwas herbeizwingen. Ich glaube nur, dass langfristig mehr Zusammenarbeit notwendig ist. Meine Enkelkinder werden vermutlich und hoffentlich in einem friedlichen Europa leben, das Vereinigten Staaten von Europa nahekommt.

Nach einer Abstimmung?

FISCHER: Sicher wird man bei einem großen Schritt in dieser Richtung sinnvollerweise wieder eine Volksabstimmung machen.

Bei der Einführung eines EU-Finanzministers?

FISCHER: Eher nicht. Das hängt aber von dessen Befugnissen ab.

Der Umstieg auf ein Berufsheer bedürfte einer Volksabstimmung?

FISCHER: Ich glaube, die Wehrpflicht hat sehr viele Vorteile, aber ich hätte kein Argument gegen eine Volksabstimmung oder Volksbefragung auf Basis der bestehenden Verfassungsordnung.

Abstimmung oder Befragung?

FISCHER: Die Volksabstimmung hat den Vorteil, dass sie politisch bindend ist und dass es nachher keine Streiterei mehr geben wird, weil ihr ja ein ausformulierter Gesetzestest zugrunde liegt. Aber die zwei großen Parteien werden sich nicht leicht auf einen abstimmbaren Text einigen können. Daher käme auch eine Volksbefragung in Frage.

Kann das auch am Tag der nächsten Nationalratswahl sein?

Es ist nicht verboten, eine Volksabstimmung an die Nationalratswahl zu koppeln.