Die Sonne scheint auf alle gleich, warum nicht auch auf Österreich? ...“ Mit dieser seltsamen Verszeile beginnt das Lied, das Hans Moser im Film „1. April 2000“ zu einer inoffiziellen Hymne für ein von den Besatzungssoldaten zu befreiendes Österreich komponiert und textet. Dieser Film, 1952 im Auftrag der österreichischen Bundesregierung entstanden, vereinigte alle damaligen Größen des österreichischen Kinos, um den Besatzern zu verdeutlichen, wie ungerecht es, fiktiv 55 Jahre nach Kriegsende sei, Österreich nicht die volle Freiheit zu gewähren. Nach einem symbolischen Befreiungsakt, dem Zerreißen der viersprachigen Identitätskarten, wird der junge Regierungschef Josef Meinrad von den internationalen Truppen vor ein Weltgericht gestellt. Dort beweist er mit einem Blick auf die österreichische Geschichte, dass dieses Land oftmals missverstanden wurde und stets nur das Gute, Wahre und Schöne verkörpert habe. Als schließlich der chinesische Delegierte in der Nationalbibliothek die Moskauer Deklaration entdeckt, in der Österreich als „das erste freie Land, das der typischen Angriffspolitik Hitlers zum Opfer fallen sollte“, bezeichnet wird, löst sich bei Wein, Weib und Gesang alles in Wohlgefallen auf.

Selbstverzwergung und Opfermythos

Was 1952 als Beitrag zu einem Ringen um Österreichs Unabhängigkeit gedacht war, nutzt alle Klischees des Österreichbildes aus. Zu klein, zu bescheiden, zu kunstsinnig, zu verspielt und zu lieblich, konnte dieses Land nicht für die Schrecken des Krieges und der Shoa mitverantwortlich sein. Man war anders als der große Nachbar Deutschland und dessen Perfektionismus. Die Selbstverzwergung war der Versuch, sich als Opfer zu präsentieren und Schuld zu externalisieren. Das Bild hielt sich lange Zeit: „Und jetzt Raab – jetzt noch d’ Reblaus, dann sans waach!“ lautete die Bildunterschrift zur Karikatur von E. H. Köhler im „Simplicissimus“ von 1955 aus Anlass des Vertragsabschlusses. Das Bild zeigt Außenminister Leopold Figl, der Bundeskanzler Julius Raab, der auf einer Zither spielt, diesen Satz ins Ohr flüstert. Auf der anderen Seite des Tischs ist Molotow schon in Tränen aufgelöst.

Diese Selbstdarstellung, deren Kern der Opfermythos bildete, war die Folie, vor der sich der Kampf um einen österreichischen Staatsvertrag abspielte. Die Darstellung wirkte nach innen und außen: Nach innen wurde verdrängt, nach außen verharmlost.
Dabei war das Ringen um einen Staatsvertrag ein langer und dorniger Weg an diplomatischen Verhandlungen und auch an innenpolitischen Verwerfungen. Der Verhandlungsstand spiegelte auch die jeweilige weltpolitische Situation wider. Schon im Jänner 1947 startete die Bundesregierung in London mit den Bemühungen um einen Friedensvertrag für Österreich, und ab März 1947 wurden die Verhandlungen in Moskau fortgesetzt. Die ÖVP tat sich mit den Sowjets leichter, die SPÖ als treuester Verbündeter der USA in Österreich musste sich um Abgrenzung zu den Kommunisten bemühen, ihre antisowjetische Haltung machte das Verhandeln mit einer Stimme für die österreichischen Delegationen nicht leicht.

Die Bedingungen der Sowjets

Ein paar Hindernisse räumte die Weltpolitik aus dem Weg: Titos Bruch mit Stalin machte die Ansprüche Jugoslawiens auf Gebiete an Österreichs Südgrenze obsolet, und die Frage des „deutschen Eigentums“ wurde elegant durch die Verstaatlichungsgesetze (gegen den Widerstand der kleinen Kommunistischen Partei) umschifft. Allerdings wollte die Sowjetunion bei den Verhandlungen ein Junktim mit dem Schicksal Deutschlands, was immer problematischer wurde, je weiter sich die Besatzungszonen in Deutschland auseinanderentwickelten.

Stalins Tod und die Übernahme der Präsidentschaft in den USA durch Dwight D. Eisenhower änderten 1953 die Rahmenbedingungen und brachten die stockenden Verhandlungen wieder in Gang. Die Sowjets stellten allerdings Bedingungen: Einerseits forderten sie, dass sowjetische Truppen in Österreich bleiben sollten, bis auch ein Vertrag mit Deutschland abgeschlossen sein würde (was 1953 schon völlig unrealistisch geworden war), anderseits bestanden sie auf einer österreichischen Neutralität, um geopolitisch eine Barriere zwischen die europäischen Nato-Mitglieder (die Bundesrepublik Deutschland war zwar erst ab 1954 in der Nato, aber die Amerikaner hatten ihre Truppen im Land) zu schieben. Dies war strategisch wichtig, denn dann müsste jeder Panzer und jedes Flugzeug der Nato für den Weg von München nach Mailand über Frankreich geführt werden.

Die aufgezwungene Neutralität

Beide Forderungen waren daher echte Hürden. Der ersten konnte man, wenn man überhaupt einen Vertrag erzielen wollte, nicht zustimmen, die zweite war eher akzeptabel, obwohl sich Österreich emotional und ökonomisch schon voll nach Westen orientiert hatte. Die „immerwährende Neutralität“, die schon bald nach dem Staatsvertrag eine der tragenden Säulen österreichischer Identität werden sollte, war also ursprünglich von der weltpolitischen Lage aufgezwungen und durchaus keine Herzensangelegenheit für die österreichische Politik.

Im April 1955 verhandelte in Moskau eine österreichische Delegation, der unter anderen Julius Raab, Leopold Figl und Bruno Kreisky angehörten, um letzte Stolpersteine zu überwinden. Die Sowjets wollten die Verankerung der Neutralität im Text eines Staatsvertrages, Österreichs Vorschlag war hingegen, dass das Land erst als souveräner Staat ein Neutralitätsgesetz verabschieden könne. Im „Moskauer Memorandum“ wurde schließlich festgehalten, dass ein neutrales Österreich die Unversehrtheit und Unverletzlichkeit seiner Grenzen durch die Siegermächte garantiert erhalten sollte. Das Neutralitätsgesetz sollte der freie Staat selbst beschließen. Der Weg zur Unterzeichnung war damit frei.

Figls Jubelruf

Am 15. Mai 1955 wurde im Oberen Belvedere in Wien der „Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich“ von den Vertretern der vier Siegermächte und von Außenminister Figl unterzeichnet. „Österreich ist frei“ konnte Figl jubeln, ehe er vom Balkon aus das Dokument einer begeisterten Menschenmenge, die sich im Belvederegarten angesammelt hatte, präsentierte. Es war ein Festtag für die junge Zweite Republik.

Der Staatsvertrag erneuerte das Anschlussverbot Österreichs an Deutschland, er legte aber auch in seinem Artikel 7 die Rechte der slowenischen und kroatischen Minderheiten im Lande fest, eine Vorgabe, deren Erfüllung sich über Jahrzehnte hinziehen sollte. Der Vertrag äußerte sich auch klar zum Verbot von nationalsozialistischer Wiederbetätigung. Zudem sollte der Sowjetunion das von ihr in den Usia-Betrieben verwaltete ehemalige deutsche Eigentum materiell abgelöst werden. Es durfte auch keinesfalls an die ehemaligen Eigentümer zurückgehen. Innerhalb von sechs Jahren waren 150 Millionen US-Dollar an die Sowjetunion zu zahlen.
Aber war dieses markante Ereignis vom 15. Mai 1955 das Datum der „Befreiung“ Österreichs?

Es ist inzwischen nicht nur in der Fachwelt, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit unbestritten, dass Österreich 1945 von den alliierten Truppen befreit wurde. Das Abschütteln der nationalsozialistischen Herrschaft war der entscheidende Befreiungsakt unserer Geschichte. Daher begeht man mit Recht den 8. Mai, den Tag des Kriegsendes, und den heutigen Tag als Tag der Freude. Der 15. Mai 1955 brachte die souveräne Handlungsfreiheit für den Staat, der schon Jahre zuvor zu seinen demokratischen Strukturen gefunden hatte. Österreich konnte als gleichberechtigter Partner beginnen, seine internationale Rolle zu spielen. Seiner jüngeren Geschichte, vor allem der Geschichte seines Anteils an den Verbrechen des Nationalsozialismus sollte sich Österreich aber erst viel später stellen. Die Bevölkerung war vorerst dankbar für die über den Opfermythos angebotene historische Erzählung, und unter Oberfläche lebte viel vom Gedankengut weiter, das einer Generation in den Jahren 1938 bis 1945 ansozialisiert worden war.