Spätestens nachdem die Bilder von der Mordanstalt Auschwitz und anderen Konzentrationslagern weltweit entsetzten, konnten selbst jene, welche zuvor nichts von der Judenverfolgung bemerkt haben wollten, nicht mehr die Augen davor verschließen, worin der fanatische Antisemitismus des nationalsozialistischen Regimes gemündet war: im Massenmord, in der Ermordung von bis zu sechs Millionen Juden aus Europa. Selbst das Wissen um den Holocaust verhinderte nicht, dass der Antisemitismus auch in Österreich wucherte.

Ein Dokument dafür ist das Protokoll einer Ministerratssitzung im Jahr 1948 (siehe rechts), in der es um die Schaffung eines Fonds für Juden ging, denen gerade noch die Rettung ihres Lebens durch Flucht gelungen war und die, verarmt in der Fremde, nun wieder zurück nach Österreich wollten. Die Wortmeldungen der Minister von ÖVP und SPÖ glichen einem tiefen Griff ins Vokabular antisemitischer Hetze.

Besonders hervor tat sich dabei Innenminister Oskar Helmer, der ungefähr zur gleichen Zeit bei Justizminister Josef Gerö für eine Begnadigung verurteilter Naziverbrecher intervenierte. Wie für Ernst Adolf Girzick, im Referat von Adolf Eichmann, dem Organisator des Holocausts, als SS-Obersturmführer mitverantwortlich für die Deportation von Juden in die Konzentrationslager, setzte sich der Innenminister so ein: „Das ihm zur Last gelegte Delikt besteht nur darin, dass er in der Judenaussiedlungsstelle beschäftigt war.“ Nach dem aus Niederösterreich stammenden Antisemiten Helmer ist heute noch ein der SPÖ nahe stehendes Studentenhilfswerk benannt, wie auch etliche Straßen, Schulen und ein Volksheim in einer niederösterreichischen Gemeinde.

Holocaust bis in die Achtziger "totgeschwiegen"

Die an der Universität Salzburg lehrende Historikerin Helga Embacher, zu deren Forschungsschwerpunkt auch Antisemitismus in Europa gehört: „Es ist eine weitverbreitete Meinung, dass Antisemitismus nach 1945 verschwunden sei bzw. nicht öffentlich geäußert wurde. Das ist total falsch, zumal die Menschen ja nicht sofort zu umdenken begonnen haben und ihre Sozialisation fortgewirkt hat. Dazu kamen Schuldgefühle, zurückgekehrte Emigranten und Diskussionen um die „Wiedergutmachung“, die auch auf höchster Regierungsebene, bei allen Parteien, Antisemitismus ungeniert an die Oberfläche gebracht haben. Das Bewusstsein über den Holocaust war bis in die 1980er-Jahre sehr gering ausgeprägt.“

Mit seinen im Hörsaal verbreiteten antisemitischen Tiraden sorgte Taras Borodajkewycz, Professor an der Wiener Hochschule für Welthandel, 1965 für einen Skandal. Studentenorganisationen, Widerstandskämpfer und Gewerkschafter versammelten sich zu Protesten, freiheitliche Studenten demonstrierten für den Professor. Ein ehemaliger Widerstandskämpfer wurde dabei von einem Neonazi niedergeschlagen und starb an den Folgen.

Kreisky gegen Wiesenthal

Der damalige Unterrichtsminister Theodor Piffl-Percevic ließ Borodajkewycz weiter an der Uni, ohne Konsequenzen. Erst 1971 wurde der Hitler-Verherrlicher unter der SPÖ-Regierung zwangspensioniert.
Da rückte schon die nächste einschlägige Affäre näher. Bundeskanzler Bruno Kreisky attackierte 1975 den Holocaust-Überlebenden Simon Wiesenthal, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Naziverbrecher aufzuspüren. Wiesenthal prangerte an, dass FPÖ-Obmann Friedrich Peter als Offizier der Waffen-SS in einer Einheit war, der schwere Kriegsverbrechen zur Last gelegt wurden. Kreisky, dessen Minderheitsregierung 1970 von Peter und dessen Partei unterstützt worden war, zog nun unterstützt von anderen sozialistischen Spitzenfunktionären gegen Wiesenthal los. Auch mit Verleumdungen. Damit wurde eine antisemitische Welle in der Bevölkerung ausgelöst.

Die Affäre Waldheim

In der Affäre um die Kriegsvergangenheit des künftigen Bundespräsidenten Kurt Waldheim bemühte man 1986 einschlägige Begriffe wie „Ostküste“ oder den Jüdischen Weltkongress, der die Medien beherrsche. Der damalige ÖVP-Generalsekretär Michael Graff entgleiste bei seiner Verteidigung von Waldheim: „So lange nicht bewiesen ist, dass er eigenhändig sechs Juden erwürgt hat, gibt es kein Problem.“

Die Historikerin Embacher grundsätzlich: „Antisemitismus ist ein Vorurteil, das sich an neue politische, gesellschaftliche Bedingungen als sehr anpassungsfähig erweist. Dazu kommt vor allem in westlichen Gesellschaften die Unsicherheit im Umgang mit dem Holocaust, worüber wenig konkretes Wissen besteht. Zu unterscheiden ist, ob Menschen einzelne Vorurteile oder problematische Ansichten gegenüber Juden vertreten oder Antisemitismus als Welterklärung dient.“

Einschlägiger Muster, dem Wortspiel mit Namen, bediente sich 2001 auch der damalige FPÖ-Chef Jörg Haider. In seiner Aschermittwochrede spielte er auf den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, mit diesen Worten an: Wie könne einer, der Ariel heiße, nur so viel Dreck am Stecken haben.

Antisemitismus unter Muslimen

Aus jüngster Zeit stammt die Affäre um das Liederbuch einer Burschenschaft. „Da trat in ihre Mitte der Jude Ben Gurion: Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million.“ Verteidiger beschwichtigten, ohne diese Strophe sei es ein Text, der „übertriebene Deutschtümelei, insbesondere Nazismus und Rassenlehre bespöttel“. Was freilich so nicht erkennbar ist.

Die Wissenschaftlerin Embacher: „Linker Antisemitismus, wie am Beispiel der Labour Party in Großbritannien diskutiert, ist nicht neu. In Österreich und Deutschland wurde rechter Antisemitismus in den letzten Jahren stark vernachlässigt, indem der Fokus nur auf den linken und muslimischen gelegt wurde. Dieser diente der FPÖ, aber auch ÖVP, zur Abwehr des Antisemitismusvorwurfs, siehe die Liederbuchaffäre.“

Einen neuen Antisemitismus erblickt Embacher nicht, neu sei jedoch, dass in Europa Muslime als Täter auszumachen sind: „Antisemitismus unter Muslimen ist ein äußerst komplexes Phänomen, das keineswegs nur ,importiert‘ ist, da die Mehrheit ja hier seit Jahren lebt. Eine besondere Rolle spielt bei Muslimen der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Dabei wird aber oft die Grenze hin zum Antisemitismus überschritten.“