Das Kriegsende 1945 in Österreich ist von Ungleichzeitigkeiten geprägt. Während Ostösterreich ab 29. März 1945 mit dem Überschreiten der Grenze durch sowjetische Truppen zum Kampfgebiet und Wien am 13. April befreit wurde, waren weite Teile des Landes bis Kriegsende unter nationalsozialistischer Herrschaft. Den nahenden Untergang vor Augen entwickelten die NS-Machthaber einen beispiellosen Terror nach innen.

Als die Provisorische Staatsregierung unter Karl Renner am 29. April, zwei Tage nach der Wiederbegründung der demokratischen Republik Österreich, in das Parlament einzog, wurde auf der Ringstraße zu den Klängen einer sowjetischen Militärkapelle der Donauwalzer getanzt. Zur selben Zeit ließ Gauleiter Eigruber im KZ Mauthausen die oberösterreichischen politischen Häftlinge in der Gaskammer ermorden, denn dem neuen Staat sollten keine „aufbauwilligen Kräfte“ überlassen werden. Auch in Graz wurden in den letzten Kriegswochen politische Häftlinge aufgrund einer von Gauleiter Uiberreither erstellten Todesliste ermordet. Waffen-SS, Feldgendarmerie und Gestapo-Streifen machten im noch dem Nazi-Regime verbliebenen Gebiet Jagd auf Menschen, die versuchten, sinnlose Kampfhandlungen zu verhindern. Bis zum letzten Kriegstag veröffentlichte die Presse Durchhalteparolen für den „Endkampf“.

40.000 auf dem Todesmarsch

Das Kriegsende als Phase verdichteter Gewalt wurde in den letzten Jahren zunehmend zum Gegenstand der historischen Forschung. Unter den Endphaseverbrechen sticht im östlichen Österreich der Todesmarsch ungarisch-jüdischer ZwangsarbeiterInnen hervor: Bis zu 40.000 Menschen wurden von den Schanzarbeiten am „Südostwall“ an der Grenze zu Ungarn angesichts der herannahenden Front in Richtung des KZ Mauthausen getrieben.

Vor den Augen der Bevölkerung durchquerten Züge mit Tausenden hungernden, elenden Menschen die heutigen Bundesländer Burgenland, Steiermark, Nieder- und Oberösterreich. In unzähligen Orten entlang der Routen wurden Menschen erschlagen, erschossen, starben an Hunger und Erschöpfung.

Eines der größten Massaker mit über 200 Toten fand am Präbichl statt. Oft wurden lokale Wachmannschaften, Volkssturmmänner, Hitlerjungen zu Tätern. 23.000 ungarische Jüdinnen und Juden verloren auf dem Gebiet des heutigen Österreich in den letzten Kriegswochen ihr Leben.

Zwischen Hoffen und Bangen

Zugleich prägte die Angst vor der herannahenden Front die Situation. Die Ambivalenz zwischen der Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende und der Angst vor dem, was folgen würde, hält die 19-jährige Ingeborg Bachmann in Klagenfurt in ihrem Tagebuch fest: „[...] jetzt bin ich gerettet. Ich muss nicht nach Polen und nicht zur Panzerfaustausbildung. […] Vor den Russen fürchten wir uns […], niemand kann ja voraussehen, was sie mit uns machen werden, ob sie uns hier lassen oder nach Sibirien bringen.“

Der 8. Mai ist ein ambivalentes Datum. Für die einen bedeutete der Sieg über Hitler-Deutschland die Befreiung aus Gefängnissen und Konzentrationslagern, andere befürchteten, nach der Niederlage für ihre Taten bzw. für die Unterstützung eines verbrecherischen Regimes zur Verantwortung gezogen zu werden. Für die meisten stand wohl die Erleichterung über das Ende der Bedrohung durch militärische Kampfhandlungen und den Luftkrieg im Vordergrund.

Alle Mitglieder der NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) mussten sich registrieren lassen und waren zunächst vom Wahlrecht ausgeschlossen. 1948 wurden 90 Prozent der Registrierungspflichtigen als „Minderbelastete“ amnestiert, damit waren sie wieder wahlberechtigt. Ab nun wurde das Buhlen der politischen Parteien um das beträchtliche Wählerpotenzial der ehemaligen Nazis – mehr als 500.000 ÖsterreicherInnen waren Mitglieder der NSDAP gewesen – zur Konstante der politischen Kultur.

Eine gespaltene Gesellschaft

Die Erfahrungen der nationalsozialistischen Herrschaft sollten noch lange weiterwirken. Die Nachkriegsgesellschaft war zutiefst gespalten, gerade in kleinen Gemeinden waren die Konfliktlinien der NS-Zeit noch jahrzehntelang präsent. Jeder wusste, wer eine Führungsposition im regionalen und lokalen NS-Machtapparat und in der NSDAP innehatte, wer sich an „arisiertem“ Eigentum bereichert hatte, wer andere denunziert und für ihre Verhaftung oder gar ihren Tod verantwortlich war, wer beim Todesmarsch gemordet hatte.

Nur in der unmittelbaren Nachkriegszeit standen die Verbrechen des Nationalsozialismus, die Würdigung des Widerstandes und der Dank an die Alliierten für die Befreiung von einem Terrorregime im Zentrum. Die Jahre 1948/49 markieren einen Wendepunkt: Mit der Amnestierung der ehemaligen Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten und der Eskalation des Kalten Krieges änderte sich die Haltung zur NS-Vergangenheit. Über den Nationalsozialismus und seine Verbrechen wurde geschwiegen, andere Geschichten wurden umso lauter erzählt. In den Familien, an den Stammtischen, bei den Treffen des 1952 wieder zugelassenen Kameradschaftsbundes ging es um den „heroischen“ Kriegsdienst in der Wehrmacht, die Angst vor den „Russen“ in der „Heimat“, die Entbehrungen der ersten Nachkriegszeit.

Die Zeit der Kriegerdenkmäler

Das Schweigen schonte die Täter. Jede Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus war eine Bedrohung, denn damit verband sich die Frage nach der Verantwortung der Täter. Es ist kein Zufall, dass ab dem Ende der 1940er-Jahre kaum noch Denkmäler für die Opfer des Nationalsozialismus errichtet werden konnten. Nun begann die Zeit der Kriegerdenkmäler. Bei Denkmalweihen und zu Allerseelen wurde der gefallenen Wehrmachtssoldaten als „Helden“ gedacht, die in „treuer Pflichterfüllung“ ihr Leben geopfert haben, „um die Heimat vor den ungestüm andrängenden Feinden zu schützen“.

Im Gedenken des offiziellen Österreich spielte das Jahr 1945 praktisch keine Rolle. „Österreich ist frei“ wurde nicht mit 1945, sondern mit dem 15. Mai 1955, dem Tag der Unterzeichnung des Staatsvertrags, verbunden. Leopolds Figls emotionale Botschaft zählt, gemeinsam mit der Präsentation des Vertrags vom Balkon des Oberen Belvedere, zu den ikonischen Gedächtnisorten der Zweiten Republik.

In folgenden Jahren wurden nicht das Kriegsende und die Wiederherstellung der demokratischen Republik gefeiert, sondern die Wiedererlangung der vollen Souveränität durch den Staatsvertrag. Auch der 1965 eingeführte Nationalfeiertag bezog sich auf dieses Jahr, am 26. Oktober 1955 erfolgte der Parlamentsbeschluss über die immerwährende Neutralität.

Ein Bekenntnis zu unseren Werten

Nicht 1945, sondern 1955 war das Schlüsseljahr für das historische Selbstverständnis der Zweiten Republik. Denn in diesem Jahr, so die populäre Legende, errang das „kleine“ Österreich seinen späten Sieg über die alliierten Mächte. Der damit verbundene Mythos wird nirgend besser dargestellt als im staatlich finanzierten Science-Fiction-Film „1. April 2000“ (1952). Österreich wird darin als friedfertiges Land gezeigt, das zu Unrecht von fremden Mächten besetzt wurde und dem es letztlich gelingt, die übermächtigen Besatzer von seiner Unschuld zu überzeugen.
1945 bedeutete in Österreich Besetzung, nicht Befreiung. Und paradoxerweise blieb diese Sichtweise von der Waldheim-Debatte praktisch unberührt. Während im Gedenkjahr 1988 die Opferthese nachhaltig dekonstruiert wurde, stand das Jahr 2005 noch ganz im Zeichen des traditionellen Staatsvertragsjubiläums.

Erst die Kranzniederlegung deutschnationaler Burschenschaften für die gefallenen Wehrmachtssoldaten am 8. Mai, die in Reaktion auf die kritische Wehrmachtsausstellung seit 2002 im österreichischen Heldendenkmal im Äußeren Burgtor der Wiener Hofburg zelebriert wurde, sollte die Aufmerksamkeit auf diesen Tag lenken. 2012 wurde der 8. Mai erstmals mit einem Konzert am Heldenplatz als Tag der Freiheit, ab 2013 als Tag der Freude gefeiert.

Es geht nicht darum, die ambivalenten Erfahrungen, die 1945 mit diesem Tag verbunden waren, zu negieren. Es geht um ein Bekenntnis zu den Werten unserer Gesellschaft im Heute: „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“ So sagte es der deutsche Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1988.