Ein 14- und ein 17-Jähriger saßen kurzzeitig in U-Haft, weil sie einen Anschlag auf die Regenbogenparade in Wien geplant haben sollen. Werden Islamisten immer jünger?

Geschieht die Radikalisierung nun aber häufiger im virtuellen Raum als früher. Etwa auf Plattformen wie TikTok?
Auch hier hat sich nicht viel verändert. Der virtuelle Raum spielt schon seit 30 Jahren eine Rolle. Auch damals gab es bereits Webseiten und Diskussionsforen, über die radikale Inhalte verbreitet wurden. Neuer ist aber, dass sich die Plattformen ergänzt haben. Heute hat man Kanäle wie WhatsApp, Telegram und vor allen Dingen Instagram. Da gibt es Chats, in denen Informationen verschickt werden und auch virtuelle Verkaufsstände. Warum jetzt aber ausgerechnet TikTok so hervorgehoben wird, ist für uns das größte Rätsel. Keiner ist alleine wegen TikTok-Videos zum IS-Attentäter geworden. Es gibt ja auch auf Youtube schon lange Videos mit ähnlichen Inhalten, die dort immer wieder hochgeladen werden und auch über WhatsApp und Telegram verbreitet werden.

Wie versucht man, Jugendliche mit diesen Videos für den Islamismus zu ködern?
Es sind immer die gleichen Botschaften, nur unterschiedlich verpackt: Nämlich, dass das politische System, in dem sie hier im Westen leben oder die politischen Systeme in den muslimischen Ländern nicht gottgefälligen sind, deswegen abgelehnt und auch bekämpft werden müssen. Für die, die sich tiefer damit beschäftigen wollen, gibt es dann Bücher, die online verschickt werden. Wobei der Großteil unserer jungen Klienten keines dieser Bücher wohl je gelesen hat.

Bücher und Videos mit den immer gleichen Botschaften – reicht das wirklich, damit junge Menschen in diese Welt hineinkippen?
Wir haben in einer Studie untersucht, was grundsätzlich zur Radikalisierung führt. Da gibt zum einen eine Ideologie, die Antworten auf Lebensfragen gibt; die die Welt erklärt. Mit dieser Ideologie werden auch Feindbilder mitgegeben und das Gefühl, dass man sich selbst abheben und hervorheben kann. Manche Jugendliche geraten da einfach hinein. Aus verschiedenen Umständen: Freundschaft, Identitätsfragen oder einfach Wut oder Verzweiflung. Manche werden auch in ihrer Familie derart sozialisiert.

Welche Rolle spielt die Familie? Nicht alle Islamisten stammen ja aus tiefreligiösen Elternhäusern.
Die Familien sind sehr oft die Leidtragenden. Wir haben es beinahe täglich mit ganz vielen Eltern zu tun, die einfach verzweifelt sind und nicht verstehen, was mit ihrem Kind passiert ist und warum. Die Eltern merken, dass die Freunde oder Freundinnen einen größeren Einfluss haben. Die treffen sich persönlich, aber auch im virtuellen Raum. Man ist dauerbeschallt mit bestimmten Ideen, Sprüchen und Feindbildern.
Sind unter ihren Klienten mehr Burschen oder mehr Mädchen und sind die meisten nach Österreich eingewandert oder wurden sie hier geboren?
Es sind mehrheitlich Burschen. Doch die Mädchen spielen eine große Rolle. Nämlich als Ehefrauen in sehr extremistischen Kreisen. Anfangs zur stärksten Zeit des IS hatten circa 50 Prozent jener, die ausreisen und sich ihm anschließen wollten, Wurzeln im Nordkaukasus. Das hat sich geändert: Wir haben autochthone Österreicher, Afghanen oder Leute, deren Familien aus dem Balkan stammen. Interessanterweise sind darunter auch einige aus Serbien.

Kommen die meisten aus sozial schwachen Verhältnissen?
Wir haben auch Klienten aus gutbürgerlichen Familien, die Matura oder einen akademischen Abschluss haben. Der Status verhindert Radikalisierung nicht.

Wie kann man junge Leute davon abhalten, dass sie in diese Kreise geraten?
Man kann nur den geistigen Widerstand stärken, indem Inhalte vermittelt werden, die ein demokratiepolitisches Verständnis fördern, indem man sagt, das System einer liberalen Demokratie ist für mich erstrebens- und erhaltenswert. Das kann im Schulunterricht geschehen. Die zweite Stufe ist: Es gibt eine direkte Ansprache zu Themen wie etwa Antisemitismus. Die dritte Stufe: Wir kommen vorbei und machen Gruppenunterricht; etwa in der Schule oder einem Jugendzentrum. Die letzte Stufe: Wir suchen das Einzelgespräch mit dem Betroffenen.

Sind Menschen, die bereits Anschlagspläne schmieden, noch zu erreichen?
Da geht nur noch Deradikalisierung. Es gibt Personen, die man über jahrelange Arbeit dazu bringen kann, dass sie keine Gewalt mehr ausüben. Wahrscheinlich kommen sie aber von ihrer antidemokratischen Gesinnung nicht mehr los.

Haben Sie nach dem Terroranschlag in Wien mehr finanzielle Mittel für Ihre Arbeit bekommen?
Wir können nur sagen, dass sich in den drei Jahren seit dem Anschlag nichts geändert hat. Wir haben immer noch Weisungen von Richtern, Klienten nach der Haft weiterzubetreuen. Doch der Bund zahlt das nicht, sondern nur die Betreuung im Gefängnis. Wir würden uns wünschen, dass wir so wie andere Vereine einen Rahmenvertrag mit dem Justizministerium bekommen, in dem alle diese Kosten abgedeckt sind. So pfeifen wir finanziell immer aus dem letzten Loch.