Sie beschäftigen sich mit dem Thema Immunsystem und da ist es naheliegend zu fragen, wie Sie im Rückblick das gesamte Thema Corona erlebt haben.
BRUCE A. BEUTLER:
Zunächst habe ich dieselben Überlegungen wie die meisten angestellt und das mit der spanischen Grippe von 1918 verglichen. Ich dachte, es würde nicht so schlimm werden wie damals, aber ich fragte mich, wie die Gesellschaft heute auch mit einer viel geringeren Todesrate würde umgehen können. Während der spanischen Grippe haben die Menschen ganz normal gearbeitet. Aber die Zeiten haben sich geändert. Die Frage, wie das gemanaged wurde, wurde stark politisiert. Man muss da eine sehr demütige Haltung gegenüber einer neuen Pandemie einnehmen. Jeder dachte zunächst, Covid würde nicht mutieren. Aber das war falsch. Als skeptischer Wissenschaftler hätte man sich genauere Aussagen gewünscht, wie effektiv Masken wirklich sind. Dann gab es die Frage nach den Nebenwirkungen bei den Impfungen. Aber das konnte niemand ehrlicherweise beantworten. Mit dem Wissen von heute hätten wir vielleicht damals andere Strategien entwickeln können, aber ich unterstelle niemandem üble Motive.

Wie beurteilen Sie den Umstand, dass die ganze Welt sich über Nacht umstellen musste?
Es war bemerkenswert, dass wir Technologien wie Videokonferenzen hatten und alle das sofort benützen konnten. Zufrieden sein sollte man nie, aber es wäre auch falsch, die Entscheidungen zu kritisieren. Es musste ja alles aus dem Stand heraus entwickelt werden.

Glauben Sie, dass wir zukünftig immer wieder mit solchen Pandemien leben müssen?
Ja, warum sollte es nicht sein? Wir erleben ja immer wieder solche Ausbrüche: HIV, Sars, Covid. Wir können froh sein, dass die Sterblichkeit bei Corona bei nur einem Prozent war. Das nächste Mal könnte es bei 50 Prozent liegen.

Ihre Arbeiten beschäftigten sich mit dem Immunsystem. Manche behaupten, die Menschen heute hätten ein schwächeres Immunsystem als früher, wir wären quasi verzärtelt.
Nein, das glaube ich nicht. Menschen fragen mich: Was kann ich tun, um mein Immunsystem zu stärken. Die Antwort ist einfach: Impfen, das verstärkt das Immunsystem. Wir sind in einer besseren Position als vor 100 Jahren. Die Todesraten waren früher viel, viel höher.

In welche Richtung geht die Reise?
Es wurden neue Impfstoffe im Zuge der Covid-Pandemie entwickelt, die sehr wirkungsvoll sind. Aber sie halten nicht lange an, man muss immer wieder boostern. Das will man verbessern. Da gibt es derzeit viele verschiedene Ansätze.

Nach Jahrzehnten hat eben ein Österreicher in den Naturwissenschaften einen Nobelpreis erhalten. Wie ging es Ihnen, nachdem Sie 2011 den Preis erhalten hatten: Wurde Ihnen mehr zugehört, auch von der Politik?
Ja, man wird mehr gehört. Menschen hören gerne die Meinungen von Nobelpreisträgern. Es gibt einem eine zusätzliche Glaubwürdigkeit, die man zuvor nicht hatte. Aus der Politik halte ich mich heraus.

Haben Sie einen Ratschlag für junge Forscher?
Ich werde immer wieder von Jungen gefragt: Wie kann ich ein guter Forscher werden und trotzdem eine gute Work-Life-Balance haben? Für mich klingt das so: Ein guter Wissenschaftler zu werden wollen, ohne hart dafür zu arbeiten. Daran glaube ich nicht.

Volles Haus an der Med Uni in Graz beim Gastvortrag
Volles Haus an der Med Uni in Graz beim Gastvortrag © Med Uni Graz/Lunghammer