Eigentlich sollte von der Volksbefragung am Wochenende in St. Leonhard im Pitztal ein Impuls für den Zusammenschluss der Skigebiete auf dem Pitztaler und dem Ötztaler Gletscher ausgehen. Jetzt ist alles anders: Es herrscht Katerstimmung bei den Befürwortern, Genugtuung bei den Gegnern. Und es wird ein Weg aus der Misere gesucht.

"Halbe-halbe"

Ein Gemeindemitarbeiter leert noch die Stimmzettel zusammen. 50,4 Prozent haben am Sonntag gegen die geplante Gletscher-Ehe gestimmt. "Man kann sagen, halbe-halbe", sagt Bürgermeister Elmar Haid. Was ihn mehr überraschte, war die schnelle Reaktion der Pitztaler Gletscherbahnen, die wenige Minuten nach Bekanntwerden des Ergebnisses ihre Pläne für das 132-Millionen-Euro-Projekt "endgültig zurückgezogen" haben.

"Thema im Wahlkampf"

Das Aus für die Gletscher-Ehe Pitztal-Ötztal beflügelt jetzt die Grünen, sie zeigen plötzlich Muskeln in der schwarz-grünen Koalition. In Tirol breche eine neue Zeit an, in der Großprojekte am Gletscher der Vergangenheit angehörten, sagt Grünen-Klubchef Gebi Mair. Er drängt noch vor der Landtagswahl am 25. September auf einen vollständigen Gletscherschutz. Die Verordnungen für mögliche Erweiterungen am Kaunertaler und Pitztaler Gletscher müssten von der Landesregierung geändert werden. "Sollte die Chance für den Gletscherschutz nicht ergriffen werden, dann ist klar, welches Thema im Wahlkampf eine zentrale Rolle spielen wird."

Seilbahnprogramm nicht antasten

Der Koalitionspartner ÖVP will aber keine Schnellschüsse. Zwar begrüßte ÖVP-Chef Toni Mattle nach dem Volksentscheid das Aus für das Großprojekt mit drei neuen Seilbahnen und 64 Hektar zusätzlichen Pisten – das noch bis Ende 2024 geltende Seilbahnprogramm will die Volkspartei derzeit nicht antasten. "Ich bin gegen eine Anlassgesetzgebung, das neue Seilbahn- und Skigebietsprogramm ist von der künftigen Landesregierung auszuverhandeln, der Gletscherschutz wird darin eine zentrale Rolle einnehmen", sagt Raumordnungs-Landesrat Johannes Trattner (VP).
Er zeigt sich offen dafür, den Gletscherschutz in Tirol zu stärken. Aber: "Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass es vernünftiger ist, tief greifende Entscheidungen nicht in aufgeheizter Wahlkampfatmosphäre, sondern in Ruhe zu treffen."

Minimalkompromiss

Noch vor zwei Wochen war alles anders. Angesichts eines Antrags der oppositionellen Liste Fritz auf einen absoluten Gletscherschutz und eine fünfjährige Nachdenkpause für Skigebietszusammenschlüsse hat sich die schwarz-grüne Landeskoalition im Juli-Landtag nur auf einen Minimalkompromiss geeinigt: Das 2024 auslaufende Seilbahn- und Skigebietsprogramm wird fortgeschrieben. Politisch bekennt sich das Land weiterhin dazu, dass es keine Neuerschließungen geben wird.

"Geteilte Gemeinde"

In St. Leonhard versucht man noch, die neue Realität einzuordnen: "Es ist momentan eine geteilte Gemeinde", meint eine Passantin. Sie habe zwar mit ihrer Unterschrift die Volksbefragung mit unterstützt, am Sonntag war sie aber nicht wählen. Kritisch würde sie die Arbeitsplatzsituation sehen: "Man redet von Arbeitsplätzen, die kommen würden. Aber schon jetzt muss mancher Betrieb sein Geschäft einschränken, weil er kein Personal bekommt." Jetzt solle man "auf sanften Tourismus umschwenken – du musst umdenken, wie uns schon Corona gezeigt hat". Ihre Freundin sieht es gleich.

Nicht so Sepp Eiter oben im Café 3440, "on the top" am Pitztaler Gletscher: "Die Abstimmung war überflüssig", sagt er. Das wäre Sache des Gemeinderates gewesen. "Und der hat sich ja schon dafür ausgesprochen."

Auf der Terrasse haben es sich drei Damen aus Wenns im Pitztal Aug in Aug mit der Wildspitze gemütlich gemacht. "Wenn das ganze Tal abgestimmt hätte, wäre ein klareres Nein herausgekommen", meint eine von ihnen, die bereits die Online-Petition gegen die Gletscher-Ehe unterzeichnet hatte.

Vizebürgermeister Philipp Eiter ist auch nach dem "Drüberschlafen" noch fassungslos. Er hofft, dass es noch nicht das letzte Wort der Gletscherbahnen war: "50 Prozent sind keine klare Absage."