Noch immer liegt sie obenauf, diese Erinnerung, und ist gerade an Tagen wie diesen oft zur Stelle, obwohl sie schon ewig zurückliegt, ein halbes Jahrhundert: Der Großvater, Messner und Totengräber, hebt am Dorffriedhof ein Grab aus. Mühsam mit der Schaufel, schweißverschmiert, ortsunangemessen ächzend und fluchend; gebaggert wurde damals noch nicht. Der Bub, ich, steht daneben und weiß nicht, was stärker ist: das Fürchten oder die Neugier. Letztere siegt natürlich.
Der Blick ins offene Grab also: Ein Skelett liegt dort in der klumpigen Erde, am Schädel klebt noch langes Frauenhaar. Und daran, vor allem dieses Bild wird nie schwinden, ein Band, kunstvoll zur Schleife verknüpft, nahezu unversehrt, auch die Farbe ist noch abrufbereit: Violett. Das bleibt also, muss der Bub gedacht haben, denke ich, ein halbes Jahrhundert später: Knochen, Haare und ein Band. Viel mehr denkt man sich in diesem Alter, fünf, nicht. Die Fragen kommen erst später, viele Antworten bleiben aus. Warum bleibt ein Ding und der Mensch dazu ist weg? Und wo ist er, der Mensch? Und wo ist das, was man Seele nennt? Und ist sie auch so lange haltbar wie ein, sagen wir: Haarband?

Seit es das Leben gibt, existiert der Tod. Und seit der Tod existiert, gibt es Orte, an denen die Lebenden ihren Verstorbenen eine letzte Ruhestätte geschaffen haben. Gräber gab es schon immer. In der Antike wurden die Bestattungsstätten als Nekropolen bezeichnet: Städte des Todes. Doch Begräbnis und Grabfürsorge waren eine Angelegenheit der Familie, entsprechend gab es nur private Grabstätten und keine öffentlichen Friedhöfe, die Masse landete in – Massengräbern. Erst das Christentum schuf einen neuen Begriff von Familie: Der biologische Verbund wurde um die kirchliche Gemeinde erweitert, die sich fortan nicht nur um das Leben kümmerte, sondern auch um den Tod. Der erste namentlich bekannte Friedhofsverwalter hieß übrigens Calixtus – ein bekehrter Spekulant, der später sogar Papst wurde. Der älteste christliche Gemeindefriedhof trägt seinen Namen: Calixtus-Katakombe.
Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub“, so die liturgische Formel bei Begräbnissen. Wobei: Asche zu Asche? Karl der Große verbot im Jahr 782 unter Androhung der Todesstrafe für Angehörige die Feuerbestattung, die als heidnisch galt. Asche zu Asche galt nur für missliebige Personen. Stichwort Hexenverbrennung. Am Grundsatz der Erdbestattung hielt die katholische Kirche bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil im Jahr 1963 fest.

Gräber am Wiener Zentralfriedhof
Gräber am Wiener Zentralfriedhof © (c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)

Kaum ein anderes Thema ist so umrankt von Sprichwörtern wie der Tod. Aber der Satz etwa, wonach alles etwas koste und nur der Tod umsonst sei, stimmt ebenso wenig wie die schöne Behauptung, dass im Tod alle Menschen gleich seien. All jenen, die in Sünde oder als Ungläubige lebten bzw. starben, wurde lange Zeit eine christliche Beerdigung und eine Bestattung auf dem Kirch- bzw. Friedhof versagt. Sie wurden in ungeweihter Erde begraben. Diese „unehrenhaften Beisetzungen“ wurden lange Zeit auch Menschen, die den Freitod gewählt hatten, und ungetauften Kindern zuteil. Diese abgegrenzten Bezirke nannte man „Engelsgottesacker“. Auch die Sitte, diese Kinder nahe der Kirchenmauer unterhalb der Dachrinne zu begraben, existierte. Der Hintergrund: Durch das herabtropfende Wasser sollte den kleinen Geschöpfen eine späte Taufe zuteilwerden.

Vor rund 200 Jahren erst ging die Kirche ihrer nahezu alleinigen Bestattungskompetenz verlustig. Das Friedhofswesen entwickelte sich zu einer Aufgabe der öffentlichen Hand. Die engen Grenzen zwischen den Konfessionen wurden überwunden, es entstand die Idee eines kommunalen Friedhofs. Die moderne Gesellschaft baute Verwaltungsgebäude, Trauerhallen und – aus hygienischen Gründen – Leichenhallen. Gleichzeitig wurde die häusliche Aufbahrung der Verstorbenen immer seltener. Auch das ein Zeichen dafür: Nichts geht uns so nahe wie der Tod. Und nichts wollen wir uns ferner vom Leib halten. So fern – und am Ende doch so nah: Wissenschaftler haben in Sachsen-Anhalt das bislang älteste Grab einer Familie entdeckt. Die vier Toten ruhten 4600 Jahre auf einem Gräberfeld. Die Mutter liegt auf ihrer linken Seite, das Gesicht eines der beiden Söhne blickt in ihre Richtung. Der zweite Sohn ist den sterblichen Überresten des Vaters zugewandt. Die Beine der vier Familienmitglieder berühren einander in der Mitte des Grabes.

Noch immer liegt sie obenauf, diese Erinnerung an das offene Grab und an das violette Haarband. Der Bub ist nie wieder mitgegangen, um dem Großvater beim Schaufeln zu helfen. Der kindlichen Neugier folgte das Fürchten, später die Ehrfurcht vor dem Tod.

Berühmte Friedhöfe:

Highgate Cemetary London

Highgate Cemetary London
Highgate Cemetary London © (c) imago images/SKATA (via www.imago-images.de)

Im Jahr 1839 wurde der Londoner Friedhof Highgate Cemetery eröffnet. Er beherbergt auf einer Fläche von 15 Hektar rund 53.000 Gräber, darunter zahlreiche Prominente: von George Eliot über Karl Marx bis George Michael.

Père-Lachaise in Paris

Père-lachaise in Paris
Père-lachaise in Paris © (c) AFP (CHRISTOPHE ARCHAMBAULT)

Der 44 Hektar große Père Lachaise ist ein Parkfriedhof, der 1804 eröffnet wurde. Der Friedhof ist eine Touristenattraktion, man findet dort u. a. die Gräber von Frédéric Chopin, Edith Piaf, Marcel Marceau und Jim Morrison.

Sleepy Hollow Cemetery New York

 Sleepy Hollow Cemetery
Sleepy Hollow Cemetery © (c) imago/Loop Images (John Greim/LOOP IMAGES)

Der Friedhof Sleepy Hollow, gegründet 1849, wurde durch Washington Irvings Schauergeschichte „Die Sage von der schläfrigen Schlucht“ (Original: The Legend of Sleepy Hollow) bekannt. Er erstreckt sich entlang des Hudson River.

Der fröhliche Friedhof in Maramure

Friedhof in Maramure
Friedhof in Maramure © (c) imago images/Konrad Zelazowski (Konrad Zelazowski via www.imago-)

Dieser Friedhof in Rumänien ist berühmt für seine farbenfrohen Grabmäler, die aus bunt bemalten Kreuzen bestehen. Die Inschriften auf den Kreuzen erzählen von den Verstorbenen und enthalten oft witzige Sprüche.