Um Kapazitäten für Corona-Patienten zu schaffen, wurde Wiens Gesundheitssystem im März radikal heruntergefahren. Rund 2.000 geplante Operationen wurden in den Spitälern des Krankenanstaltenverbundes KAV abgesagt. Seit Ende April werden die Patienten wieder für neue OP-Termine und einen vorausgehenden Corona-Testtermin kontaktiert. Über die Hälfte der Warteliste habe man mittlerweile aufarbeiten können, auch in Kooperation mit Privatspitälern. Und auch die Fachambulanzen sind mit Terminvereinbarung seit Mitte Mai wieder offen. Vom Normalbetrieb ist man aber noch immer weit entfernt.

Die Mühlen in Wiens Spitälern mahlen wieder – vielfach aber zu langsam und zu unorganisiert, heißt es von der Wiener Patientenanwaltschaft. Es brauche mehr Transparenz, welchen Patienten nach welchen Kriterien abgesagt wurde und wer jetzt priorisiert wird. „Den Leuten wird einfach gesagt, die OP findet nicht statt, die Biopsie findet nicht statt, die Chemotherapie wird abgebrochen, die Transplantation findet nicht statt – ohne einen neuen Termin zu nennen“, sagt eine Sprecherin der Patientenanwaltschaft. Zum Teil seien schwerwiegende Erkrankungen nicht versorgt und Behandlungen aufgeschoben worden. Die Konsequenz können gesundheitlichen Folgeschäden für die Betroffenen sein.

Akutbetrieb war stets aufrecht

Der KAV weist die Vorwürfe als einzelne Beschwerdefälle zurück. Akute Operationen und Behandlungen haben auch während Corona durchgehend stattgefunden und auch die Notfallambulanzen waren durchgehend im Betrieb. Verschoben wurden lediglich Behandlungen und Operationen, bei denen das medizinisch unbedenklich war. Vielmehr habe man aber die Erfahrung gemacht, dass Folgeschäden entstehen, weil Menschen in akuten Fällen aus Angst vor einer Corona-Infektion nicht ins Krankenhaus oder zum Arzt gehen. Ein schnelleres Hochfahren der Spitäler sei zudem nicht möglich gewesen, schließlich brauche jeder Schritt ein eigenes Sicherheitskonzept und damit eine gewisse Vorlaufzeit.

Wann die Spitäler endgültig in den Normalbetrieb zurückkehren, ist derzeit noch nicht abschätzbar. Mehr als die aktuellen rund 70 Prozent Auslastung sind alleine schon wegen der Abstandsregeln nicht möglich. Nach wie vor wird auch ein gewisses Betten-Kontingent freigehalten. Mit jeder von der Regierung verkündeten Lockerung der Maßnahmen können schließlich wieder höhere Infektionszahlen einher gehen. Allerdings soll – wie schon zu Beginn der Pandemie – zunehmend das Kaiser-Franz-Josef-Spital für die Behandlung der verbleibenden Covid-Erkrankten zuständig sein. Stationen in anderen Häusern sollen so wieder freigeräumt werden.

Wenn die zweite Welle kommt

Über all dem schwebt die Möglichkeit einer zweiten Welle. Die Patientenanwaltschaft formuliert hier schon jetzt klare Forderungen. Sollte es erneut kritisch werden, darf es keinesfalls wieder zu einem derart radikalen Herunterfahren des Gesundheitssystems kommen: „Es kann nicht sein, dass man sich nur auf Corona fixiert. Leute, die eine Behandlung brauchen, müssen sie bekommen und dürfen nicht abgewimmelt werden“, so eine Sprecherin. Es müsse strukturiert vorgegangen werden, und es brauche kurzfristigere, aktuellere Entscheidungen.

Tatsächlich habe man aus medizinischer Sicht in den letzten Wochen sehr viel gelernt, was im Fall einer zweiten Welle helfen würde. So kann etwa eine zum richtigen Zeitpunkt eingesetzte Beatmung vor dem Intensivbett bewahren und damit mögliche Engpässe abgewendet werden: „Das trägt dann vielleicht auch dazu bei, dass man die eine oder andere Maßnahme besser dosieren kann und nicht so harte Maßnahmen setzen muss“, so ein Sprecher des KAV. Die Betonung liege hier aber stets auf „vielleicht“.