Es ist etliche Wochen her. Zwei Mann und eine Frau, seit jeher befreundet, trafen einander nach Langem wieder. Die Corona-Kerker waren erstmals geöffnet worden. Man durfte nun wieder „Fremde“ treffen, die nicht zum eigenen Hausstand gehörten – auf Tröpfchendistanz (1,5 Meter), ohne Umarmung. Die Dame des Trios schickte komisch-verzweifelte Luftküsse.

Der Gastgeber, ein Steh-Schreiber, hatte seine drei Stehpulte samt Hocker im Dreieck auf die Terrasse gestellt. Seitenlänge exakt 2,50 Meter, sicher ist sicher. In Sektkühlern eines Servierwagens knisterten südsteirische Sauvignon blancs und Weinviertler DAC-Veltliner, daneben Wasserkaraffen und eine Nespresso-Maschine mit Prodomo-Kapseln von Dallmayr, zur vorschriftsmäßigen Selbstbedienung, einer nach dem andern. Die Frühlingsblumen leuchteten im Garten, die Singvögel sangen, die Sonne malte Licht-und-Schattenkringel durch die Markise.

Wirtshaus

Eigentlich alles paletti, für uns aber traurig und kalt. Wir haben es immer mit Friedrich Torberg und seiner Tante Jolesch gehalten: „Man geht nicht in die Häuser.“ Wir sind immer Wirtshausmenschen gewesen.

Diese Haus-Inszenierung für ein Wiedersehen war uns befremdlich, wie für ein Geheimtreffen verfeindeter Herrscher arrangiert. Demgemäß begrüßte ich im Namen meiner nordkoreanischen Volksrepublik. Die Freundin bedankte sich in der blonden Art eines Boris Johnson und Donald Trump. Der Freund bemühte sich um ein diplomatisches Küchen-Französisch.

Atmosphäre

Die Heiterkeit hielt nur kurz. Die Atmosphäre war liebevoll, das Treffen selbst aber ein Fiasko. Als jahrelange Mitglieder eines fröhlichen, kreativen Theken-Diskussions-Rudels waren wir Besseres gewöhnt.

Nämlich: respektvolle Streitgespräche und spöttische Gemetzel aus nächster Nähe, Schulter an Schulter. Dazu herrliche Unkorrektheiten und Häkeleien zwischen den weiblichen und männlichen Diskutanten, die der Heiterkeit & Erotik so viel dienlicher sind als der prüde, puritanische Korrektheitswahn. All dies erlebten wir einst, nachsichtig umsorgt von weisen Wirtinnen und Wirten. Sowie von ihren Barkeepern und Oberkellnern, die über ein reiches Sortiment an Erfrischungen befahlen, wie es kein Privathaus bieten kann. Am Ende dieser Abende leckte sich die Wirtin bei der Abrechnung die Lippen. Und die Rudeltiere gingen mit zehn neuen Ideen heim, die ihnen fortan beruflich und privat nützlich waren.

Davon konnte bei unserer Drei-Mächte-Konferenz vor wenigen Wochen keine Rede sein. Dazu fehlte das magische Fluidum des idealen Biotops. Die Öffnung der Wirtshäuser, Gasthöfe, Restaurants und Bars lag noch in ungewisser Ferne. Und was uns betraf, waren wir nicht mehr in Höchstform.

Isolation

Die Seuche hatte uns den Zahn gezogen. Unser Witz war flach geworden, die Sprechsprache in der Isolation eingerostet. Die Wörter fielen uns aus dem Mund – wie saure Drops, denn zu allem Überfluss waren wir, die Sonnigsten von allen, von Sanguinikern zu Grantscherben geworden.

Was bei einem einzigen Thema sogar Sinn machte. Wir diskutierten bei diesem Wiedersehen einen beispiellosen Skandal: den Umgang der Politiker mit dem Gastgewerbe (mit und ohne angeschlossenen Herbergs-Pensions-Hotelbetrieb), der als charakterloser BETRUG noch zärtlich umschrieben ist.

Zunächst erlaubte man wie seit Jahrhunderten den Tabakgenuss in den Gasträumen. Sofern man nun für eine Abtrennung zu den Nichtrauchern Sorge traf. Was je nach Größe des Betriebs in die 100.000-Euros ging. Und eine erste Welle von Gastwirten ruinierte, die das nicht leisten wollten oder sich damit überhoben.

Einen Gutteil der Überlebenden brachte man um, als man bald danach aus politischem Kalkül die Freunde der Tabakkultur dennoch verjagte. Jeder wird eine Wirtsfamilie kennen, die danach ratlos auf verbrannte, obwohl gesetzlich verlangte und noch kreditbelastete Investitionen starrte. Die wahrscheinlich sinnvolle Corona-Schließung war nur noch der Dolchstoß in viele schon vorher Getötete. Da wäre einzig eine blitzschnelle Totalstütze, die auch vergangenes Unrecht gutmachte, eine wirksame Hilfe gewesen. Zumal die meisten EU-Staatshaushalte ohnehin längst Schrott sind und nach der Seuche eine Euro-Neuordnung verlangen werden.

Diese Stütze unterblieb aber, weil alle Parlamentarier, die regierenden wie die oppositionellen, die Gastronomie nicht wirklich ernst nehmen. Sie sind daher nicht das Abbild, sondern das Zerrbild einer wesentlich klugen, weltweit als kreativ gelobten Bevölkerung. Die mindere Wertschätzung der Gastronomie zeigt, dass die Parlamentsabgeordneten nicht nur schlechter sprechen als jeder deutsche Mittelstürmer, sondern auch ungebildet sind.

Festtag 15.Mai

Darf ich das am Vorabend des Festtages „Freitag, 15. Mai“, an dem die Wirtshäuser wieder öffnen, näher erklären?

Wohlan: Die Gasthöfe waren, fern vom Adel, der Anfang unserer bürgerlichen Zivilisation. Sie entstanden an den Schnittpunkten der vollen Bauern-Scheunen, die uns die Sesshaftigkeit beschert hatten, als Ende des ewigen Hungers. Die Gasthöfe brachten das „Miteinanderreden“, die als Post-Stationen dienenden gar den Weltgeist ein. Ein ewiges Verdienst. Zumal sie in schweren Zeiten auch ein Ort der Sicherheit und des Trosts waren. Sie waren die säkulare Seite einer Medaille, deren sakrale Seite „Kirche“ hieß. Ich mag auch die Kirche. Obwohl sie mich einst humorlos verstieß, wegen unablässiger Wiederverheiratung auf der Suche nach der idealen Gefährtin. Schwamm darüber. Sie leistet in schwieriger Zeit wieder Gutes, vor allem ihre effektive, unerschütterlich-soziale Tochter „Caritas“.

Man soll sie unterstützen. Aber mehr noch die Wirte. Sie könnten ab heute der Kristallisierungspunkt einer neuen Zuversicht sein, falls wir sie verwöhnen. Dazu mein 6-Punkte-Programm.

Erstens: Wir rennen ihnen schon morgen die Tür ein, trotz ungemütlicher Einschränkungen (Distanz und Belegung der Tische).

Zweitens: Wir bestellen die köstlichen teuren Speisen, die schon Gewinn bringen, nicht nur Lockmittel für die profitableren Getränke sind.

Drittens: Bei diesen greifen wir nun einen Rang höher. In der Wachau von Steinfeder auf Federspiel auf Smaragd, in der Steiermark auf die „Reserven“, beim Obstler auf die Edelbrände.

Viertens: Ich rufe das Diskussions-Rudel zurück. Zwar ist uns noch die Steh-Theke verwehrt. Aber es wird sich nun ein Frischluft-Tisch mit Hockern finden. Der auch versöhnliche Raucher zurückbringt. Zur Freude der Kellner, die deren höhere Trinkgelder schätzen.

Fünftens: Ich werde den kommenden Sommer als „Glück im Unglück“ proklamieren. Hitze und UV-Strahlung killen das Coronavirus.

Sechstens: Die unausrottbaren Nazi-Blockwarte, die jede kleinste Verfehlung der Wirte anzeigen, werde ich sedieren und schmerzlos verscharren.

In diesem Sinne mein Gruß an die tapferen Gastwirte: „Willkommen zurück!“. Welcome back! Oder „Grata retro!“, wie mein Freund und Kultur-Guru Frido Hütter gern sagt, der in Gasthäusern und Bars zur höchsten Bildung reifte.

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