Weil er einen 35-Jährigen am 8. Mai vor eine U-Bahn gestoßen hat, ist ein 20-jähriger Iraker am Montag im Wiener Landesgericht vor einem Schwursenat (Vorsitz Andreas Hautz) gestanden. Die Tat wäre für die Staatsanwaltschaft als versuchter Mord zu klassifizieren, der 20-Jährige war allerdings wegen einer paranoiden Schizophrenie nicht zurechnungsfähig. Daher wurde die Einweisung beantragt.

Das (nicht rechtskräftige) Urteil fiel am frühen Nachmittag: Der 20-Jährige wurde von einem Schwursenat im Wiener Landesgericht (Vorsitz Andreas Hautz) in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Die psychiatrische Gerichtsgutachterin Gabriele Wörgötter hatte dem 20-jährigen Asylwerber aus dem Irak Zurechnungsunfähigkeit bei der Tat attestiert. Er leidet demnach unter einer paranoiden Schizophrenie. Außerdem habe der Mann eine ungünstige Gefährlichkeitsprognose. Damit sah sie die Bedingungen für eine Einweisung erfüllt.

Der 20-Jährige, der 2015 als Asylwerber mit seiner Familie aus dem Irak gekommen war, schilderte, dass erste Krankheitssymptome elf Monate vor der Tat aufgetreten waren. "Ich habe Stimmen gehört. Ich habe zuhause Kaffee getrunken und bin dann in die Schule gegangen. Dort haben sie gesagt, dass ich Kaffee ohne Zucker getrunken habe. Wie geht das?"

Verfolgungsideen konzentrierten sich in weiterer Folge auf Hunde und Menschen mit Kopfhörern und Sonnenbrillen. Letzteren schrieb er zu, dass sie es hören könnten, wenn er zuhause weine, und ihn daher verspotten würden. Er befand sich deshalb zwar in Behandlung, wurde laut der psychiatrischen Sachverständigen Gabriele Wörgötter auch zweimal im November 2018 eingewiesen, entwich aber - einmal sogar mit seinen Eltern. Krankheitseinsicht zeigte er nicht, was laut Wörgötter Teil des Krankheitsbildes ist.

Am 8. Mai war der 20-Jährige auf dem Weg ins Fitnesscenter. In der U-Bahn traf er auf das spätere Opfer. Der 35-Jährige trug Sonnenbrillen und Kopfhörer, was offenbar einen heftigen psychotischen Schub bei dem Iraker auslöste. Er glaubte, der 35-Jährige verfolge ihn. "Er hat immer mit der Nase aufgezogen. Ich habe geglaubt, er will mir signalisieren, dass er weiß, dass ich zuhause geweint habe", schilderte der 20-Jährige.

Tat von Überwachungskamera gefilmt

"Ich habe Angst gehabt, ich wollte das nicht machen. Ich habe mir gedacht, entweder er hört auf, oder ich stoße ihn vor die U-Bahn", sagte der Betroffene (bei Zurechnungsunfähigen spricht das Strafrecht nicht von Angeklagten, Anm.). "Ich habe nicht gewusst, dass die U-Bahn kommt, ich habe einfach geschubst." Auf einem Video aus der Überwachungskamera ist allerdings zu sehen, dass sich der 20-Jährige eine ganze Weile hinter dem Opfer befand und ihn erst unmittelbar vor der herannahenden U-Bahn auf den Gleiskörper stieß.

"Das ist sehr schlecht, wenn man sowas macht. Ich konnte mich nicht kontrollieren, das war nicht ich", sagte der 20-Jährige. Als er flüchten wollte, hielt ihn noch eine Frau auf. "'Lass mich', habe ich gesagt." Dass er sie auch mit dem Umbringen bedroht hatte und sie ihn erst deshalb ziehen ließ, daran wollte sich der Betroffene nicht erinnern.

Umarmung vor dem Richter

Der U-Bahnfahrer leitete zwar sehr schnell eine Notbremsung ein, der 35-Jährige wurde dennoch schwerst verletzt. Sein rechter Fuß musste amputiert werden, dazu kamen multiple Knochenbrüche. "Ich sah die einfahrende U-Bahn, bin langsam nach vorne gegangen und spürte plötzlich von hinten die Stöße. Ich habe geglaubt, er wollte mich erschrecken und wollte mich umdrehen. Aber dann ist es weitergegangen", schilderte der 35-Jährige das Geschehen. Er befindet sich in Rehabilitation. "Die Schmerzen sind überschaubar, ich bin von Tabletten weg, ich mag sie nicht. Psychisch: Es gibt Hochs und Tiefs." Der 35-Jährige akzeptierte die Entschuldigung des Betroffenen und ließ sich von ihm unter Tränen umarmen.

Wörgötter konstatierte, dass der 20-Jährige unter einer "Erkrankung aus dem schizoiden Formenkreis" leidet. Er habe Psychose geleitet gehandelt und sei zum Tatzeitpunkt nicht in der Lage gewesen, das Unrecht seiner Tat zu erkennen. Er sei "nicht zurechnungsfähig". Die Psychiaterin stellte auch eine ungünstige Gefährlichkeitsprognose: "Seine Unterbringung kann nicht durch eine ambulante Therapie ersetzt werden."

Die Geschworenen zogen sich um die Mittagszeit zur Beratung zurück. Mit einer Entscheidung war am frühen Nachmittag zu rechnen.