Eine Mutter und ihre beiden erwachsenen Zwillingstöchter sind laut Polizei in ihrer Wohnung in Wien-Floridsdorf verhungert. "Eine gerichtliche Obduktion wurde durchgeführt. Nach aktuellem Stand kann von einem Tod durch Verhungern ausgegangen werden", berichtete Polizeisprecher Patrick Maierhofer am Donnerstag.

Der Todeszeitpunkt wird auf Ende März bzw. Anfang April geschätzt. Erst am Dienstag dieser Woche waren die Leichen der 45-jährigen Frau und ihrer beiden Töchter im Alter von 18 Jahren entdeckt worden.

"Eine erste toxikologische Untersuchung ergab keine Spuren einer Vergiftung. Detailuntersuchungen werden in den kommenden Wochen noch durchgeführt", sagte Maierhofer. Ein Gewaltverbrechen hatten die Ermittler des Landeskriminalamtes Wien, Gruppe Tulzer schnell ausgeschlossen.

Frauen lebten isoliert

Die drei Frauen hätten sehr isoliert gelebt, selten die Wohnung verlassen und wenn, dann nur gemeinsam, hieß es am Donnerstag von den Ermittlern. Die Hintergründe der Tragödie seien unklar. Es gebe kein Motiv, keine Abschiedsbriefe und keine Hinweise auf Gewalt oder Zwang.

Die Ermittler hätten in der Wohnung auch keine Lebensmittel gefunden, sagte Polizeisprecher Patrick Maierhofer am Donnerstag. Aufgrund der Isolation gebe es kaum Informationen aus dem Umfeld der Toten.

Kontakt mit Jugendamt

"Es waren schüchterne Kinder, ruhige Mädchen in der Pubertät", beschrieb Andrea Friemel von der Wiener Kinder- und Jugendhilfe (MA 11) die Zwillinge. In der Schule seien sie als Integrationskinder geführt worden. Dabei spielte wohl eine nicht näher erläuterte "Entwicklungsverzögerung" eine Rolle. Im Herbst 2016, nicht mehr schulpflichtig, wurden die Jugendlichen von der Schule abgemeldet.

Im Dezember 2016 kam die Familie daraufhin auch in Kontakt mit der Behörde. Ehrenamtliche Betreuer aus einem Mentorenprojekt schalteten das Jugendamt ein. Die "Abklärung der Situation" endete im März 2017, ohne dass die Mag Elf ab diesem Zeitpunkt noch eine Notwendigkeit für weitere Maßnahmen gesehen hätte. Das Amt habe sich, wie in solchen Fällen üblich, als Ansprechpartner für die Zukunft angeboten.

"Es gab nichts in der Eigenwahrnehmung der Kolleginnen", betonte Friemel. Wohl habe bei den Teenagern eine "Entwicklungsverzögerung" vorgelegen, "die je älter die Kinder sind immer augenscheinlicher wird". Über eine schwerere Beeinträchtigung geistiger oder physischer Art finde sich aber nichts in den Unterlagen. Die Zwillinge dürften demnach nicht hilflos gewesen sein. "Wäre so etwas wahrgenommen worden, hätte es automatisch mehr an Unterstützung, auch finanzieller Natur, gegeben." Die alleinerziehende Mutter hätten "finanzielle Themen" augenscheinlich bedrückt.

Betreuung endete im Frühjahr 2017

Grundsätzlich sei festzuhalten, dass die Betreuung durch die Behörde im Frühjahr 2017 endete. Die Einschätzung des Jugendamts beziehe sich daher auf die Situation von vor zwei Jahren, betonte Friemel. Sie sei sehr bestürzt über den Tod der drei Frauen und habe keine Erklärung. "Es ist seither nichts mehr gemeldet worden", weder von offiziellen Stellen, noch aus dem Umfeld oder von Verwandten.

Die Wiener Kinder- und Jugendhilfe ist unter der Servicenummer 01/4000/8011 von Montag bis Freitag von 8.00 bis 18.00 Uhr erreichbar. Angehörige, Nachbarn und andere Menschen, die sich um Schutzbedürftige Sorgen machen, können sich an diese Stelle wenden, rief Andrea Friemel in Erinnerung.

Die Leichen der Frauen, 45 und 18 Jahre alt, waren Dienstagvormittag in der Wohnung eines Gemeindebaus in der Werndlgasse gefunden worden. Eine Bekannte hatte die Polizei verständigt. Es gab keine Spuren eines gewaltsamen Eindringens, und die Toten wiesen keine offensichtlichen Verletzungen auf. Der Todeszeitpunkt dürfte schon länger zurückliegen.

Psychologe sucht Erklärung

Im Fall des rätselhaften Hungertodes einer Mutter und ihrer beiden Zwillingstöchter in einer Wohnung in Wien-Floridsdorf vermutet der Psychologe Cornel Binder-Krieglstein eine verzerrte Wahrnehmung der 45-jährigen Frau durch eine psychiatrische Erkrankung. Eine Schizophrenie etwa würde erklären, dass die Mutter den Hungertod in Kauf genommen hat, etwa wenn ihr Stimmen dies befohlen hätten.

Es bestünde laut Binder-Krieglstein die Möglichkeit, dass ihr Stimmen gesagt hätten, sie müsste fasten oder etwa nur etwas Bestimmtes essen, um jemandem zu helfen oder Schlimmes abzuwenden. "Dann tut sie das und aus ihrer Sicht macht sie etwas Gutes, etwas Wichtiges", sagte der Experte.

Diese Störungsbild hätte die Frau vermutlich auf ihre Kinder übertragen. "Es ist auch nachvollziehbar, dass sie für ihre Kinder auch so fühlt und interpretiert hinein, auch sie vor Schlechtem zu schützen." Aufgrund einer Entwicklungsstörung der Kinder und der "sehr starken Observanz, der Einengung und der Bindung" zwischen Mutter und Töchtern könnte dies noch verstärkt worden sein.

Das passiert allerdings nicht von heute auf morgen. "Das ist ein langer Prozess", wo auch das Umfeld eine Rolle spielt, erklärte Binder-Krieglstein. Die Frau lebte mit ihren Kindern zurückgezogen, hatte scheinbar wenig Kontakt zu anderen und hat die Mädchen nach der Schulpflicht aus der Schule genommen. Sie habe sich damit eine Struktur - eine eigene Welt - geschaffen, um die Situation weiterhin so beizubehalten. Die drei gingen laut Nachbarn offenbar meist nur zu dritt außer Haus.

"Sie machte aus ihrer Sicht etwas Überlebenswichtiges, etwas Gutes", so Binder-Krieglstein. Diese Abschottung hätte die Frau vermutlich perfektioniert, denn wenn die Kinder älter werden, wäre die Gefahr, von Fremden angesprochen zu werden oder mit anderen Menschen Kontakt zu haben, größer. Es würde in so einem Fall auch zur vermuteten Persönlichkeitsstruktur der Frau passen, dass sie autoaggressives Verhalten an den Tag legte und in ihren Wahnvorstellungen nicht andere Menschen attackiert hatte.

Trauriger Einzelfall

Einen vergleichbaren Fall hat Binder-Krieglstein nicht nennen können, außer jene von Sekten, die kollektiv in den Hungertod gegangen sind. Da es sein kann, dass nicht alle drei zur gleichen Zeit verhungert sind, stellt sich die Frage, warum nicht eine der Frauen Hilfe holte. Das konnte der Psychologe nicht beantworten. Er wusste allerdings von einem Fall, wo ein Fünfjähriger tagelang neben seiner toten Mutter lebte und sich das Kind instinktiv Essen aus dem Kühlschrank holte. In der Wohnung der 45-jährigen Wienerin habe es laut Ermittlern keine Lebensmittel gegeben.