Was haben Sie sich im ersten Moment gedacht, als Sie von den neuerlichen Dopingfällen im ÖSV gehört haben?
TONI INNAUER: Zunächst, dass die Dopingagenturen in Zusammenarbeit mit den Behörden intelligent gearbeitet haben. Das ist auch die einzige Chance, etwas aufzudecken. Dass es schon wieder die Österreicher betrifft, ist peinlich. Aber es ist kein Systemproblem des ÖSV, nur was soll man mit einem international kontaminierten Bereich machen?

Haben Sie Verständnis für die Ratlosigkeit des ÖSV?
Ich fand die Reaktionen insgesamt gefasster als bei den vorangegangenen Vorfällen. Natürlich sind wir alle gespannt, was noch ans Tageslicht kommen wird, aber es war von ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel vorschnell, zu sagen, dass es auch deutsche Athleten betreffen könnte. Da hätte es mehr Geduld hinsichtlich des Ermittlungsstandes gebraucht.

Kann es tatsächlich sein, dass Trainer bei ungewöhnlichen Leistungssteigerungen ihrer Athleten nichts bemerken oder zumindest keinen Verdacht schöpfen?
Bei Blutdoping ist ein Trainer fast chancenlos. Athleten, Trainer und das gesamte Umfeld arbeiten ja mit erlaubten Methoden und Techniken darauf hin, dass es zu einer Leistungssteigerung kommt. Und wenn sie dann endlich eintritt, dann soll ich sie sofort in Zweifel ziehen? Das ist sehr viel verlangt. Aber im Fall von Johannes Dürr und seiner Leistung bei der letzten Etappe der Tour de Ski, ...

... wo er am letzten Anstieg allen davongelaufen ist, ...
... da habe ich mich schon gefragt, wie das möglich ist. Das war dann doch zu viel. Aber sosehr das nach Ausrede klingt: Man kann einen einzelnen Sportler nicht rund um die Uhr überwachen und kontrollieren, mit wem er Kontakt hat. Da gibt es Grauzonen.

„Kleine Seelen werden durch Erfolg übermütig“, hat der griechische Philosoph Epikur einst gemeint. Können Sie dem in Zusammenhang mit den erwischten Sportlern etwas abgewinnen?
Das ist sicher so. Aber es ist nicht nur Übermut, auch Gier und Verzweiflung, weil einfach zu viel am Sport hängt. Vielleicht hatte Ex-IOC-Präsident Avery Brundage recht, als er den Amateurstatus bei Olympischen Spielen schützen wollte, weil andernfalls die Athleten existenziell abhängig vom Sport sind. Der Sport kann aber nur die Besten ernähren und nicht Tausende. Realisieren zu müssen, dass es sich bei einem selbst nicht ausgeht, treibt Sportler in die Enge. Unter diesem Druck, dass mittelmäßige Leistungen nicht reichen, ist manchen die Erklärung genug, dass andere auch dopen.

Haben Sie mit den ertappten Dopingsündern Mitleid?
Nicht wirklich. Sie wissen, worauf sie sich einlassen. Andererseits war die Veröffentlichung des Videos im aktuellen Fall, das den Athleten bei der Festnahme mit der Infusion im Arm zeigt, das Perfideste, das hatte überhaupt keinen Nachrichtenwert. Dieser Mensch ist eh schon geliefert. Damit hat man nur die Sensationsgier bedient. Das ist bedenklich, aber in unsere Zeit passend.

Und die Reaktionen der anderen Athleten?
Jene, die möglicherweise nichts nehmen – und ich glaube, dass es sie gibt –, sind zu Recht wütend. Und dann gibt es jene, die „gifteln“ und sich auch aufregen, um von sich abzulenken. Wer kein absoluter Insider ist, hat keine Chance, den Unterschied zu erkennen.

Es wird immer wieder eingewendet, derartige Leistungen seien ohne Doping nicht möglich.
Das weiß ich nicht. Ich bin kein Experte im Ausdauersport. Aber es ist so, dass diese Mittel in Bezug auf Leistungssteigerungen und verkürzte Regenerationszeiten leider so viel bringen, dass man als sauberer Sportler nahezu chancenlos ist. Auch wenn es nur zwei Prozent sind – umgerechnet auf die Distanzen, die da gelaufen werden, ist es eine Welt. Der Missbrauch erklärt sich über den Druck und diese verzweifelte Suche nach Sekunden, Anerkennung und Verdienstmöglichkeiten. Das heißt aber nicht, dass Menschen systematisch zu Doping greifen müssen. Es kann jeder für sich entscheiden. Aber jeder halbwegs intelligente Mensch kann die rote Linie erkennen zwischen erlaubten Nahrungsergänzungsmitteln und Methoden, die auf natürliche Weise die Leistung absichern, und unerlaubtem Doping. Das ist sehr einfach nachzulesen.

Sie gaben 1998 als ÖSV-Sportdirektor die Sparten Langlauf und Biathlon ab, nachdem Sie Hinweise auf EPO im nordischen Bereich erhalten hatten und von der FIS ein neues Kontrollsystem einforderten, aber nicht einmal eine Antwort erhielten.
Meine Vorgabe war: Ich will keine einzige Medaille, die mit Doping erreicht wurde. Das widerspricht meiner Grundeinstellung. Die Abschätzung der internationalen Szene und das mangelnde Interesse der FIS an gezielter Antidopingarbeit signalisierten mir aber, dass faire Bedingungen nicht sicherzustellen sein werden, und so schloss ich für mich daraus: Als Einzelner kann ich da nichts ausrichten, da will ich nicht mehr dabei sein. Ich steige aus. Weil es gibt kein richtiges Leben im falschen.

Sie blieben aber Direktor für die Skispringer und Kombinierer. Ist dort Doping kein Thema?
Natürlich könnte man auch im Skispringen dopen, aber es macht einen nicht um so viel besser, als dass man es nicht mit gutem Training aufholen könnte. In der ehemaligen DDR wurde es mit Anabolika zum Muskelaufbau auch praktiziert. Die Springer waren am Schanzentisch dann auch stärker, die Anabolika führten aber zu einer Gewichtszunahme, wodurch sie in der Luft zu schwer wurden. Das ist das selbstregulierende System im Skispringen.

Sie sind seit 2015 Mitglied der Ethikkommission der Antidopingagentur Nada. Nach all dem, was da in den letzten Jahren passiert ist: Haben Sie sich nie die Sinnfrage dieser Arbeit gestellt?
Ich werde es weitermachen, weil ich davon überzeugt bin, dass es – bei allen anderen Faktoren wie Unterhaltung, Geld und der wirtschaftlichen Bedeutung – darum geht, die Kerndimension des Sports zu kultivieren: Es geht um Spielregeln, an die man als Kernmerkmal des Sports aktiv schützen muss. Sonst ist es kein Sport mehr, sondern Erfolgsbarbarei.
Österreich hat im internationalen Vergleich das strengste Dopinggesetz.

Lässt sich damit der Sumpf trockenlegen?
Seit sich die Gesetzeslage geändert hat, besteht dahingehend zumindest eine Perspektive. Und man kann heute alte Dopingproben auf Medikamente testen, die eine Zeit lang durchgegangen sind. So weiß ich zumindest im Nachhinein, ob jemand gedopt war. Auch wenn das nur ein schwacher Trost ist, es kann der Gesundung des Sports dienlich sein.