Österreich wird Abbiegesysteme für Lkw nicht vor der EU zwingend einführen. Das betrifft sowohl neue Lkw als auch die Nachrüstung. Nach einem Lkw-Sicherheitsgipfel betonten FPÖ-Verkehrsminister Norbert Hofer sowie die Verkehrssprecher der Regierungsparteien, Christian Hafenecker (FPÖ) und Andreas Ottenschläger (ÖVP) Dienstagnachmittag, dass man die Problematik vorerst mit kurzfristig wirksamen Maßnahmen angehen werde: zum Beispiel Assistenzspiegel an Kreuzungen, Verlegung von Fußgängerübergängen, Rechtsabbiegeverbote, eine Informationskampagne sowie Ausbildung der Lkw-Lenker.

Hofer betonte bei einer Pressekonferenz, dass die Sitzung der Experten und politisch Verantwortlichen von "großem Sachverstand" gekennzeichnet gewesen sei. Die Frage der elektronischen Abbiegeassistenten in neuen Lkw und zum Nachrüsten schnitt der Minister nicht an. Stattdessen listete er andere geplante Maßnahmen auf: "Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir das System der Assistenzspiegel vermehrt einsetzen wollen - ein Abbiegeassistent außerhalb des Fahrzeuges." Geldmittel von fünf Millionen Euro werde es beispielsweise für die Aus- und Weiterbildung von Berufskraftfahrern geben. Auf Asfinag-Flächen sollten eigene Parkplätze mit Schablonen für die optimierte Einstellung von Lkw-Rückspiegeln eingerichtet werden. Dies werde man über die Mineralölfirmen auch für Tankstellen propagieren. Weiters werde es eine eigene Informationskampagne zum "Toten Winkel" für die Öffentlichkeit geben.

"Keine einheitlichen Kriterien"

Hafenecker betonte, dass Österreich derzeit die elektronischen Abbiegeassistenten nicht verpflichtend machen könne. "Es gibt noch keine einheitlichen Kriterien für nachrüstbare Systeme. (...) Die technischen Spezifikationen aufseiten der EU (für die Abbiegeassistenten; Anm.) liegen noch nicht vor", sagte der Nationalratsabgeordnete. Die derzeitigen Systeme führten noch oft zu Fehlalarm. "Die Sensoren können nicht unterscheiden zwischen einem geparkten Fahrrad, einem Hydranten oder einem Menschen." Die EU will die Abbiegeassistenten mit 2024 verpflichtend machen. Hafenecker will Druck auf die EU entfalten, damit die Spezifikationen früher vorliegen und eine verpflichtende Umsetzung der geplanten Maßnahme auch früher erfolgen kann

Kinder mit Petition

68.620 Unterschriften hat eine Petition, die sich für die möglichst rasche Einführung von Lkw-Abbiegeassistenten ausspricht, bis zum Start des Sicherheitsgipfel von Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) Dienstagmittag gesammelt. Die Petition war nach dem Unfalltod eines Neunjährigen Ende Jänner in Wien gestartet worden, Schulkollegen des Buben übergaben die Unterschriften an den Minister.

"Lieber Herr Hofer, schützte uns vor dem toten Winkel" und "mach die Lastwagen sicherer" forderten die Kinder der dritten Klasse der Volksschule Landstraßer Hauptstraße. "Wir werden versuchen, die Lkw sicherer zu machen" und "wir werden uns sehr anstrengen", versprach Hofer den Schülern. Für Mit-Initiatorin der Petition, Hanna Schwarz, ist der Gipfel nur dann ein Erfolg, "wenn der verpflichtende Abbiegeassistent kommt", sagte sie bei der Übergabe der Unterschriften.

Während mehr als 40 geladene Experten im Anschluss die Sitzung starteten, demonstrierten Kinder in der Lobby des Ministeriums, wie einfach Abbiegeassistenten funktionieren können. Der siebenjährige Kai hatte einen solchen aus Lego gebaut - mit einem programmierbaren Roboticset. Gesteuert wird der Lkw via Tablet, am Fahrzeug ist ein Sensor angebracht. Befinden sich Fußgänger oder Radfahrer im Bereich des toten Winkels, ertönt ein Signal, der Lkw wird automatisch gebremst.

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Beratung der Experten

Bei der Sitzung sollten dann Experten über die Einführung der Abbiegeassistenten beraten, auch werden Ergebnisse aus einem Pilotprojekt vorgestellt. 20 Fahrzeuge wurden hierfür 2017 mit einem "Toter-Winkel-Assistenzsystem" ausgerüstet. Neben Experten aus Verkehrs- und Innenministerium waren auch Vertreter von Arbeiter- und Wirtschaftskammer, Autofahrerklubs, Verkehrsclub Österreich (VCÖ), Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV) sowie die Verkehrssprecher der Nationalratsklubs und die Verkehrsstadträte aller Landeshauptstädte zum Gipfel geladen.

Gipfel war nur "nett"

Nach dem Lkw-Sicherheitsgipfel  haben mehrere Teilnehmer noch vor der Pressekonferenz von Ressortchef Norbert Hofer (FPÖ) durchklingen lassen, dass es zu keiner Einführung von verpflichtenden Abbiegeassistenten bei Schwerfahrzeugen kommt. Die Wiener Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou (Grüne) betonte etwa, der Gipfel "war nett, aber nett ist nicht genug".

Helge Fahrnberger, Initiator der Petition zur Einführung eines verpflichtenden Lkw-Abbiegeassistenten, meinte: "Ich bin erschüttert, die schlimmsten Befürchtungen sind übertroffen worden". Der nächste tote Fußgänger, das nächste tote Schulkind gehe auf Minister Hofer, so Fahrnberger. Die österreichischen Nutzfahrzeugimporteure und der Fachverband der Fahrzeugindustrie begrüßten dagegen in einer Aussendung die Resultate des Gipfels. „Jede Maßnahme, die der Erhöhung der Verkehrssicherheit dient, ist wichtig und daher zu begrüßen. Aber wir müssen klar festhalten: die Technik alleine ist nicht die Lösung“, so Franz Weinberger, Sprecher der österreichischen Nutzfahrzeugimporteure.

ÖAMTC verrät Details

Der ÖAMTC begrüßt den ganzheitlichen Ansatz, den Toten Winkel unter anderem mit Hilfe von Kampagnen, Förderungen und Verkehrssicherheitsprogrammen bewusst zu machen, so der Autofahrerklub nach dem Gipfel in einer Aussendung. Präsentiert wurde auch die Absicht, zusätzliche Spiegel im Ampelbereich anzubringen. Diese Spiegel sollen Lkw-Fahrern helfen, den Toten Winkel vor und neben ihrem Fahrzeug besser einzusehen. Ob die Spiegel tatsächlich helfen, hängt jedoch von der Position des Lkw, der Witterung und den Lichtverhältnissen ab.

"Ein viel besseres Instrument zur Vermeidung von Unfällen sind elektronische Abbiege-Assistenten. Wir sprechen uns daher weiterhin für eine rasche Verpflichtung aus. Um nicht bloß auf europäische Richtlinien zu warten, kann es lokale Abbiege- und Fahrverbote geben. Von diesen Verboten wären nur Fahrzeuge ausgenommen, die entsprechend ausgerüstet sind", erklärt ÖAMTC-Direktor Oliver Schmerold.