Ein Bahnunfall mit 18 Verletzten im Bezirk Scheibbs hat am Montag in St. Pölten ein gerichtliches Nachspiel gehabt. Einem Verschieber wurden fahrlässige Gemeingefährdung und fahrlässige Körperverletzung vorgeworfen. Durch eine Unachtsamkeit des 53-Jährigen sollen laut Anklage fünf Waggons entrollt sein, die nach 20 Kilometern gegen einen Regionalzug prallten. Der Mann bekannte sich nicht schuldig.

Vier der 18 Personen waren bei der Kollision am 19. Oktober 2016 in Wieselburg schwer verletzt worden. Der Beschuldigte soll laut Anklage dafür verantwortlich sein, dass sich eine Wagengruppe - bestehend aus einem Mannschafts- und vier leeren Güterwagen - am Bahnhof Randegg loslöste und den Weg bis Wieselburg unkontrolliert zurücklegen konnte. Die Staatsanwaltschaft warf dem 53-Jährigen Außerachtlassen der Sorgfalt und Aufmerksamkeit bei einem Kuppelvorgang sowie mangelnde Sicherung einer Wagengruppe vor. Er soll es unterlassen haben, den Bremsabsperrhahn zu öffnen und eine abschließende Bremsprobe durchzuführen.

Die Waggons waren Richtung Wieselburg - über mehrere unbeschrankte Eisenbahnkreuzungen - entrollt. In der Brauereistadt war es zum Zusammenstoß der Wagengruppe mit einem Personenzug gekommen, in dem sich 17 Reisende und vier ÖBB-Mitarbeiter befanden.

"Das Ermittlungsverfahren war sehr umfangreich", neben dem Angeklagten seien mehrere Personen verdächtig gewesen, sagte Staatsanwalt Karl Wurzer. Untersucht worden sei, ob neben der Ursache des Entrollens der Wagen eine weitere Schuld bei Personen lag, was die Verhinderung einer Kollision angeht. Ein Sachverständigengutachten aus dem Bereich Eisenbahnwesen war laut Wurzer "sehr eindeutig": Grund für das Entrollens sei die nicht ordnungsgemäße Sicherung gewesen. Weiters habe man keinen Hinweis auf einen Defekt der Wagen gefunden. Im Fall eines Schuldspruchs drohen dem 53-Jährigen bis zu zwei Jahre Haft.

Der seit 1986 als Verschieber tätige Angeklagte hatte am 19. Oktober 2016 auf der Fahrt von Pöchlarn über Wieselburg nach Randegg keine technischen Probleme oder Auffälligkeiten bemerkt. Dort wurden Waggons abgekuppelt, die Bremsprobe hatte er der Aussage zufolge in Randegg vorschriftsmäßig gemacht.

Einige Minuten später habe sein Kollege bemerkt, dass die Wagen rollten, sagte der Angeklagte. "Ich bin dann nachgelaufen", auf dem Schotter habe er die Waggons aber nicht einholen können. Schließlich sei er mit einem Kollegen in einem Güterwagen - mit 40 km/h - nachgefahren. Ein Versuch, die entrollten Wagen mittels Hemmschuh zu stoppen, war vergeblich. In Wieselburg kam es schließlich zur Kollision mit einem Personenzug. Ein Mann erlitt laut seinem Privatbeteiligtenvertreter u.a. einen Schädelbasisbruch und trägt Dauerfolgen davon.

Der Sachverständige habe einen technischen Mangel ausgeschlossen, sagte Einzelrichter Slawomir Wiaderek. Auf die Frage, wie es zum Entrollen gekommen sein könne, wenn er keinen Fehler gemacht habe, meinte der Angeklagte: "Es ist mir unerklärlich."

Der Verteidiger kritisierte die Versuchsanordnung im Zuge des Ermittlungsverfahrens und merkte auch an, dass Beweisanträge nicht berücksichtigt worden seien. Die betroffene Gleisanlage sei "sehr steil", sagte der Rechtsanwalt. Nach der Einvernahme des Angeklagten wurde die Verhandlung mit Zeugenbefragungen fortgesetzt.

Die Waggons seien vier bis fünf Minuten gestanden, als sie schließlich entrollten. Das berichtete im St. Pöltner Prozess um einen Bahnunfall ein Zeuge, der ebenfalls als Verschieber tätig ist. "Schau, die Wagen setzen sich in Bewegung", hatte er seiner Aussage zufolge den Angeklagten informiert. Versucht wurde laut den Zeugenaussagen, die zahlreichen Eisenbahnkreuzungen bis Wieselburg zu sichern.

Ein Triebfahrzeugführer berichtete, er sei den am 19. Oktober 2016 entrollten Waggons nach Wieselburg nachgefahren, diese seien aber bereits außer Sichtweite gewesen. "Man wusste nicht, wo der Zug ist", sagte ein Fahrdienstleiter. Er hatte u.a. den Notfallkoordinator verständigt, der wiederum die Einsatzkräfte informierte, und Personen am Bahnsteig gewarnt. Das Entrollen von Waggons sei auch deshalb gefährlich, weil für unbeschrankte Bahnübergänge Vorgaben für Züge, etwa Signale und eine Geschwindigkeitsbeschränkung, gelten, hieß es.

Ein Verschub-Sachbearbeiter und ein langjähriger Arbeitskollege des Angeklagten berichteten übereinstimmend im Zeugenstand, es habe bisher keinerlei Probleme mit dem 53-Jährigen gegeben. Als in Randegg erforderliche Bremsprobe wurde bezeichnet, dass die Bremsen mit Tritt an die Bremsklötze des ersten Wagens kontrolliert werden. Dies hatte der Angeklagte seinen Angaben zufolge gemacht.

Mittlerweile sei die damals geltende Dienstvorschrift geändert worden, sagte ein Verschub-Sachbearbeiter. Im Rahmen eines Sicherheitsschwerpunktes habe er von mehreren Mitarbeitern erfahren, dass sich Bremsen lösten - "das hat mich verwundert".

Die Verhandlung wird nach einer Pause am Nachmittag fortgesetzt. Auf dem Programm stehen weitere Befragungen.